in der dentistenhölle von HARTMUT EL KURDI
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Selbstverständlich sind Zahnarztbesuche nur ein Nebenwiderspruch. Es gibt Schlimmeres im Leben: Liebeskummer, Warzen, „Das Philosophische Quartett“ und Kombi-Interviews mit Peter Stein und Klaus Maria Brandauer. Aber dennoch kann man viel Zeit damit verbringen, sich aus Angst vorm Dentisten wie ein Vollidiot zu benehmen. Diesem Dachschaden liegt meist ein gepflegtes Trauma zugrunde. Bei mir rührt es von meinem allerersten Zahnarztbesuch im Alter von fünf Jahren.

Dummerweise hatte ausgerechnet ein paar Tage vorher mein erster Schneidezahn zu wackeln begonnen. Die Zahnärztin bemerkte dies, während sie mit Kratzer und Spiegel meine Mundhöhle inspizierte. Sie legte ihre Gerätschaften beiseite, und mit einem angespitzten „Na, mal schauen, wie locker er schon ist …“ nahm sie den Wackelzahn zwischen Daumen und Zeigefinger, um ein bisschen daran zu ruckeln. Das nächste, was ich spürte, war, wie sie meinen Kopf mit der anderen Hand in die Kopfstütze presste und mir einfach so, ohne weitere Warnung, den Zahn mit einem wuchtigen Ruck herausriss. Ich war so schockiert, dass ich sie bestimmt eine Minute lang nur mit großen Augen anstarrte. Ich konnte nicht glauben, was da gerade passiert war: Diese Frau hatte mein Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt! Sie aber war sich keinerlei Schuld bewusst, grinste mich feist an und hielt den Zahn triumphierend in die Höhe: „Da isser ja!“, sagte sie. In diesem Moment fühlte ich den Schmerz und begann zu schreien, wie ich noch nie geschrien hatte.

Selbstverständlich verweigerte ich fortan jegliche professionelle Zahnkontrolle. Als es sich aber nach einigen Jahren wegen akuter Schmerzen nicht vermeiden ließ, folgten weitere Katastrophen: Den einen Zahnarzt trat ich während der Behandlung in die Magengrube, er verpasste mir eine Kopfnuss und meine Mutter drohte ihm mit einer Anzeige. Von zwei anderen Ärzten wurden wir gebeten, demnächst doch eine andere Praxis aufzusuchen, da ich durch mein Gebrüll die Patienten im Wartezimmer verschrecken würde.

Mit elf Jahren flüchtete ich mich schließlich aus Angst vor Bohrer und Zange in den Medikamentenmissbrauch. Wieder hatte ich mehrere durch exzessiven Bollo-Genuss ruinierte Backenzähne, und immer wenn diese anfingen, weh zu tun, knallte ich mir heimlich Aspirin rein. Die zu Hause entwendeten Tabletten trug ich stets bei mir – man wusste ja nie, wann die Schmerzen wieder einsetzen würden. Bei schwereren Aua-Attacken schluckte ich das Aspirin so lange, bis sich der Zahn wieder beruhigt hatte, zur Not eine ganze Woche. Dass ich das Problem damit nur verdrängte, war mir klar, aber lieber knallte ich mich zu und wartete auf den Tag, an dem mir sämtliche Zähne um die Ohren flogen, als dass ich freiwillig wieder den Satan im Weißkittel aufgesucht hätte.

Irgendwann war es dann so weit. Drei Zähne waren vereitert, das Aspirin versagte und ich fand mich auf dem Stuhl des notdiensthabenden Dr. Hänel wieder. Dr. Hänel war ein Engel. Im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ich blieb ihm treu. Er schenkte mir zehn Jahre Zahnfrieden. Bis ich an den Schlächter von Hildesheim geriet. Aber das ist eine andere, zu grausame Geschichte …