: Fünf Finger gegen Hundertschaften
Öffentliches Blockadetraining im Volksgarten: Mit einer Mischung aus Hindernislauf und Rollenspiel bereitet die Düsseldorfer Antifa Gegner des G8-Gipfels auf ihren Einsatz in Heiligendamm vor
AUS DÜSSELDORF MORITZ SCHRÖDER
Unsicher blicken die DemonstrantInnen ihrem Ziel entgegen. Zehn Gestalten versperren ihnen in einigen Metern Entfernung breitbeinig den Weg – ernste Minen, die Arme etwas gespreizt, bereit zum Zugriff. Die Protestierer wissen, nicht alle werden durchkommen. Sie rücken enger zusammen, haken die Arme ein. Ihre weit geöffneten Augen verraten die Aufregung, die sie erfasst hat. Im vorderen Teil der Menge ruft jemand: „Los!“ Daraufhin fangen sie an zu rennen. Schnell haben sie die Menschenkette erreicht. „Bleiben Sie stehen!“ schreit einer von dort. Eine Frau wird festgehalten. Die anderen schaffen es gerade noch, sie mitzuziehen. Jetzt nur noch wenige Meter. Geschafft. Die meisten haben die andere Seite erreicht. Als sie auf dem Boden sitzen, die Beine und Arme eingehakt, lachen viele erleichtert auf. Auch die Wachleute setzen nun ein Grinsen auf und lassen die Arme ihrer Gefangenen los.
Was im Düsseldorfer Volksgarten an diesem sonnigen Mai-Tag nur ein Spiel ist, soll nächste Woche bei Heiligendamm an der Ostsee wiederholt werden. Dort allerdings dürfen DemonstrantInnen nicht auf wohlwollend lächelnde Polizisten hoffen. Mit einer Mischung aus Hindernislauf und Rollenspiel bereiten sich TeilnehmerInnen des öffentlichen „Blockadetraining“ der Antifa Düsseldorf auf den nahenden G8-Gipfel der mächtigsten Industrienationen vor, der von Mittwoch bis Freitag nächster Woche in Heiligendamm stattfinden wird.
Fünf-Finger-Strategie
Während die Staatschefs dort im Edelhotel Kempinski zusammenkommen, will ein großes Bündnis von Gipfel-GegnerInnen die zwei Zufahrtsstraßen zum Tagungsort blockieren und so die Infrastruktur der Tagung durcheinander bringen. Den Aufruf dieses „Block G8“-Bündnisses haben außer antifaschistischen unter anderem auch kirchliche Gruppen wie Pax Christi, mehrere IG Metall Jugenden, die globalisierungskritische Gruppe Attac und Abgeordnete der Linkspartei unterzeichnet.
Und so wollen die rund 30 TeilnehmerInnen, die in Düsseldorf den zivilen Aufstand proben, auch nicht so recht ins Klischeebild vom autonomen Krawallmacher passen, das derzeit viele Medien heraufbeschwören. Zu schwarz gekleideten Autonomen und jugendlichen Punks mit Nietengürteln gesellen sich erwachsene Frauen und bärtige, teils grauhaarige Männer, denen man gerade genug Radikalität zutraut, ein mit Parolen beschriebenes Pappschild hoch zu halten. Geduldig lassen sie sich vor der Trockenübung in die Strategien und Geheimnisse des Gipfelprotests einweihen. Die Einsatzzentrale: ein linkes Kulturzentrum. „Wir wollen den G8-Gipfel massenhaft und massiv blockieren, damit beim Tagungsort nichts ankommt. Weder das Klopapier, noch das Personal.“
Antifaschist Andi, dem sein Anliegen doch zu heikel erscheint, um seinen wirklichen Namen zu nennen, will den TeilnehmerInnen die hoch gesteckten Ziele der Block G8-Bewegung nicht verschweigen. Der Plan, demzufolge Andi und seine Mitstreiter Ketten aus hochgerüsteten, knüppelfesten StaatsbeamtInnen überwinden wollen, trägt den Namen „Fünf-Finger-Strategie“. „Im Wendland ist dieses Vorgehen gut erprobt“, sagt der Demostratege, während er mit einem Projektor Bilder von Straßenblockaden der Anti-Castor-Bewegung an die Wand wirft.
Theorieblock
Die „fünf Finger“ symbolisieren den lang gestreckten Demonstrationszug. Der bewegt sich entschlossen auf die zu überwindende Polizeikette zu. Die Spitze der Demo-Hierarchie bildet nach diesem Schema der Mittelfinger. „Dort laufen die erfahrendsten Personen mit, die aber auch am meisten einstecken müssen“, erläutert eine G8-Gegnerin. Einige Meter vor der Kette verbreitet sich die Hand. Die behelmten BeamtInnen müssen sich zerstreuen, um die komplette Breite der Demo von der Straße fernzuhalten. So entstehen Lücken in den Reihen. Dann kommt der heikelste Teil für die Gipfel-GegnerInnen: das „Durchfließen“. Diejenigen, die durchkommen, haken sich gegenseitig mit Armen und Beinen ein und versperren die Straße. Fertig ist die menschliche Straßensperre.
Die Blockadelehrlinge sind von solch pseudo-militärischen Strategien nicht so leicht zu überzeugen. Mit verschränkten Armen und kraus gezogener Stirn schauen sie den Andi an. Der sagt offen, was zu erwarten ist: „Verluste sind eingeplant. Es kommen nicht alle durch die Ketten.“ Ein bärtiger Mann in kariertem Arbeitshemd ist besorgt. „Mit welchen Gegenmaßnahmen müssen wir rechnen?“ will er wissen. Natürlich habe die Polizei ein „ganzes Arsenal“, räumt Andi ein: von den gefürchteten Schlagstöcken, den „Tonfas“, über Tränengas bis hin zu Polizeihunden. Aber der Blockade-Experte will auch Mut machen. Schafft es die Polizei am Ende doch, die AktivistInnen zu räumen, drohe ein vergleichsweise harmloser Gewahrsam von einem Tag oder ein Platzverweis. Denn solche Blockaden fallen unter „zivilen Ungehorsam“, der keine harten Strafen nach sich zieht. So kalkulieren jedenfalls die InitiatorInnen.
Das dürfte auch ein Grund dafür sein, weshalb in NRW bereits fünf Blockadetrainings ohne große Störungen stattfinden konnten. In Berlin wurden bei einem vergleichbaren „Warm-Up“ Mitte Mai die Personalien der Teilnehmenden eingesammelt. Dass die Widerstandskurse öffentlich ablaufen, soll auch bisher unbeteiligte Personen für diese Protestform gewinnen. Denn die „Block G8“-Kampagne setzt auf eine möglichst große Protestgemeinschaft. Insgesamt wird mit über 100.000 Gipfel-GegnerInnen gerechnet. Wenn sich davon nur tausend entschließen, eine Straße zu blockieren, reicht das aus, um die über die gesamte Region verteilten 16.000 PolizistInnen an einzelnen Stellen zu übertölpeln, so die Idee. „Auch die Polizei kennt die Fünf-Finger-Strategie schon lange. Aber das Wissen darum bringt ihr nichts“, sagt Andi.
Bei der auf den Theorieblock folgenden Trockenübung im Park wird allerdings schnell klar, dass zu viel Siegesgewissheit nicht angebracht ist. Schon recht einfache Aufgaben wie das Bilden von namentlichen „Bezugsgruppen“ dauert eine Weile. „Wollen wir uns Hanuta nennen?“ Auch Namen wie „Hansi“ oder „Waschmaschine“ sind im Gespräch. Vor dem ersten Durchspielen gibt es noch einige praktische Tipps: „Wenn die Polizisten euch wegtragen wollen, solltet ihr euch möglichst schwer machen.“ Ein nasser Sack lässt sich schließlich besonders schwer heben. „Und möglichst kleine Päckchen schnüren.“ Soll heißen: die Arme um die Knie pressen. Und dabei immer noch bei seinen GenossInnen eingehakt bleiben? Gar nicht so einfach.
Schmerzensschreie
Danach wird alles möglichst wirklichkeitsgetreu geübt, in bewährter Räuber-und Gendarmmanier. Die 30 WorkshopteilnehmerInnen teilen sich in Gruppen von Staatsfeinden und -dienern auf. Die rund zehn Gendarmen gehen in Kettenformation. „Haut ab! Haut ab!“ schallt es plötzlich durch den Park. Die verkeilten, auf der Wiese hockenden DemonstrantInnen versuchen, die heranrückenden BeamtInnen fern zu halten. Mit zusammen gebissenen Zähnen stoßen, schieben und zerren die wiederum an den AktivistInnen. Haben sie einmal einen Arm oder ein Bein in der Hand, ziehen sie einzelne Personen aus dem Pulk. Zwischen viele Lacher über die gespielte Brutalität der „Polizei“ mischen sich schnell einzelne Schmerzensschreie. Konsterniert blinzeln sonnenbadende Parkgäste zum Schauspiel herüber. Die Sitzblockade ist innerhalb weniger Minuten aufgelöst. Es gibt echte Verletzte. Eine TeilnehmerIn der Sitzblockade hat eine Platzwunde über dem rechten Auge und muss verarztet werden. Über das Malheur muss sie selbst lachen. „Typisch Polizei!“ scherzt ein anderer Teilnehmer.
„Nicht schon wieder Bulle“
Doch bei allem Spaß führt die Verletzung den BlockadeschülerInnen doch vor Augen, dass die echten behelmten BeamtInnen wenig zimperlich mit ihnen umgehen dürften. Eine Antifaschistin mahnt die gespielten Gendarmen: „Ihr ward als Polizei noch recht nett“, und an die DemonstrantInnen gerichtet: „Ihr müsst auch mit Gesichtsschlägen rechnen.“ Nachdenklich stemmen die „weggeräumten“ und „eingefahrenen“ AktivistInnen die Hände in die Hüften. Einige atmen schwer. Ihre Hosen sind mit brauner Erde befleckt.
Nach und nach entdecken sie die viel beschworenen Kräfte der Solidarität wieder, verkeilen sich noch enger mit Armen und Beinen – einschlafende Gliedmaßen werden in Kauf genommen – und schmettern der Staatsgewalt Parolen entgegen. Nach einigen Versuchen wird klar, dass eine sitzende Blockade länger hält als eine stehende und dass auch durchtrainierte Uniformierte mal aus der Puste kommen. „Ich will nicht schon wieder Bulle spielen“, jammern die ersten.
Konkrete Erfolge sind vor allem bei den gespielten Durchbrüchen der Polizeiketten zu verzeichnen. Schließlich bleiben von 25 DemonstrantInnen nur noch fünf in der Kette hängen. Ein gutes Verhältnis. 30 Prozent Verluste gelten laut Demolehrbuch als realistisch. Nach drei Stunden Training haben die TeilnehmerInnen genug. Etwas mehr Kondition werden sie mit Sicherheit mitbringen müssen. Denn ist die Blockade einmal gebaut, heißt es nach den OrganisatorInnen von Block G8: „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“