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Archiv-Artikel

Käse für die Spielerbrust

Der VfB ist Meister geworden, den Kickers droht der Abstieg aus der Oberliga – schade eigentlich, denn die weit weniger beachtete Fußballmannschaft aus Stuttgart hat einen wesentlich interessanteren Sponsor: Gazi, den Käsemacher

VON GESINE KULCKE

Ein türkischer Held. In Deutschland. Dass so was geht. Ein Gastarbeitersohn, ein Kicker, der in 14 Clubs gespielt hat, ’87 aus dem Profikader geflogen ist, in Bremen ein Jahr Zweite Liga gespielt hat und dann zehn Jahre in der Regionalliga. Jetzt sitzt er da, 42, Diplom-Kaufmann, in Sakko und weißem Hemd: Kahraman Erdin, der Mann, der dafür sorgt, dass die Stuttgarter Kickers auch mal einen Spieler einkaufen können. Der Sportmarketing-Chef von Gazi hat gerade den Sponsorenvertrag bis 2008 verlängert. Obwohl man eigentlich im Marketing sagt, so hat er’s zumindest gelernt, und er glaubt das auch, wenn du Fußballsponsor bist, drei bis fünf Jahre im Fußballverein, das reicht, dann musst du aussteigen. „Warum? Schauen Sie, Commodore hat’s bei Bayern drei Jahre gemacht, Opel hat es fünf Jahre gemacht, das war das Maximalste. Irgendwann wissen die Leute, dass Gazi bei Kickers ist. Du gewinnst in diesen Kreisen dann nicht noch mehr Zielgruppen. Es wäre klüger, da auszusteigen und zu Pauli zu gehen, das wäre klüger, viel effektiver.“

Aber sie fühlen sich verbunden. Sie, das ist Kahraman Erdin selbst und der, den er immer wieder nur „ihn“ und „er“ nennt: sein Chef Dr. Eduardo Garcia. Der Sohn von „ihm“ spielt in der A-Jugend der Kickers, „er“ selbst war im Vorstand der Kickers. „Und – Sie werden jetzt gleich schmunzeln – ich war vor fünf Jahren Geschäftsführer bei den Stuttgarter Kickers.“ Damals, als sie gerade in die Regionalliga abgestiegen waren und die Stuttgarter Versicherungen nicht mehr dabei sein wollten. Erdin sollte retten, was zu retten war, einen neuen Sponsor für den Absteiger finden. Aber keiner wollte in den Club investieren. Auch „er“ nicht. „Aber nach fünfzehn Minuten hat’s dann irgendwie doch gefunkt.“ Das klingt nach Silberhochzeit und mehr. „Seine“ Leidenschaft für den Fußball war eh schon da – „er“ hat als Jugendlicher selbst beim VfB gespielt – und für die Kickers wurde sie immer größer. Wohl auch für Kahraman Erdin. Sie arbeiteten zusammen bei den Kickers, „er“ war Hauptsponsor, Erdin Geschäftsführer, „er“ ging in den Vorstand, und jeden dritten Tag ging’s ums Geld, weil immer Geld fehlte in diesem Verein. Bis der Präsident starb. Erdin kam mit dem neuen Mann nicht klar, der neue Mann kam mit Erdin nicht klar. „Ich wollte als Geschäftsführer mehr in die Richtung, er wollte in die Richtung, und dann war die Trennung, und am gleichen Abend war ich schon bei ‚ihm‘ im Unternehmen.“

Dabei hatte Erdin „ihm“ gleich gesagt, dass er nichts von Jogurt und Käse versteht. Aber „er“ sagte einfach: Musst du ja auch nicht, du musst ihn nur vermarkten. Und schon war Erdin mittendrin. Genau wie heute. Erdin redet, verkauft, redet, verkauft: sich, seine Geschichte und „seine“ Produkte: „Also, warten Sie mal, sonst vergesse ich, Ihnen Ihre Feta-Produkte zu bestellen, damit Sie heute Abend probieren können, was wir alles so haben.“ Erdin greift zum Telefon, lehnt sich zurück, schlägt die Beine übereinander, lächelt in den Hörer. Eine Tür weiter sitzen zwei junge Damen mit Headset am Computer und geben seine Bestellung weiter, in fließendem Türkisch direkt ins Kühlhaus, wo der Käse aus dem Käsewerk in Crailsheim und der Jogurt aus dem Jogurtwerk in Schrozberg ankommt und gelagert wird, bevor er in den türkischen Gemüsemärkten und deutschen Discountern landet: „Auf der Karte können Sie alles sehen: Die roten Lampen zeigen, wo wir produzieren, die grünen, wo wir überall verkaufen.“ Ein Feldzug, der bis nach Afrika reicht. Aber Kernmarkt ist Deutschland. Am besten verdienen sie bei den Türken, die hier leben und der festen Überzeugung sind, dass die Firma türkisch ist. Und davon sollen sie überzeugt bleiben. „Da ist der Türke ziemlich konservativ, der sagt: Ja, wenn ich Feta kaufe, dann will ich es eigentlich nicht von einem Deutschen kaufen, sondern vom Türken, der versteht ja was von Feta. Und wenn du rauskehren würdest, du bist Deutscher, und es ist ein deutsches Unternehmen in Crailsheim, das sind deutsche Kühe, deutsche Milch, wäre das nicht so positiv.“ Damit auch die Deutschen Gazi-Produkte kaufen, gibt es inzwischen eine Feinkostlinie, von der kaum ein Türke isst. „Das kauft ein Türke nicht, der Türke kauft Feta in Massen, nicht 200 Gramm wie der Deutsche.“

Aber auch mit den 200 Gramm lässt sich immer mehr verdienen. „Warum? Weil immer mehr Deutsche sich öffnen oder eine andere Gaumenrichtung bekommen haben. Sie fliegen in die Türkei, essen dort Feta, denken: Hm, war ja gar nicht so schlecht, warum soll man das im Sommer nicht auch hier essen? So kommt das.“ Gazi ist mittlerweile der größte Feta-Produzent Europas, „obwohl wir immer noch in diesem Label stecken: türkisch ist doch noch ein bisschen negativ behaftet bei einigen Deutschen“.

Aber Erdin findet, dass es vor zehn, zwölf Jahren noch viel negativer war, da wurden ja noch irgendwelche Heime angesteckt in Deutschland. „Ich finde, es ist besser geworden.“ Vielleicht. Vielleicht aber auch nur für ihn, den erfolgreichen Geschäftsmann, der sich inzwischen zutraut, jeden Käse zu vermarkten. Nur das Geschäft mit der Wurst würde er nicht anrühren. „Stellen Sie sich das vor: türkische Wurst in deutschen Regalen! Das versucht Egetürk. Die sind, was wir für Milchprodukte sind, und machen Fleischprodukte. Aber dieser Name wird nie so ankommen wie Gazi. Warum nicht? Ege, das heißt zwar Mittelmeer, aber Gazi, wissen Sie, was das heißt? Gazi nennt man jemanden in der Türkei, der in den Krieg zieht, verwundet wird, aber als Held wieder zurückkommt.“ Die Vereinsspitze, der ganze Stadtteil hat sich geziert, aber Erdin hat „ihm“ erklärt, dass es nicht reicht, Hauptsponsor zu sein, dass sie Synergien schaffen müssen, durchgängige Werbung machen, den Namen aufkaufen müssen, aus dem Waldau-Stadion in Degerloch ein Gazi-Stadion werden muss. Seit zwei Jahren haben sie den einzigen türkischen Stadionnamen außerhalb der Türkei. „Und zwar warum? Nicht weil wir größenwahnsinnig sind oder weil wir hier zu viel Geld haben, sondern weil es Sinn macht. Man muss manchmal auch spekulieren. Du kannst in der Regionalliga einen Stadionnamen viel günstiger kaufen als in der Zweiten oder Ersten Liga, und trotzdem bist du dauernd in den Gazetten. Ob dein Club verliert oder gewinnt.“

Degerloch in Gazi-Hand. Gazi, das ist wie Pril, das ist wie Nutella für die Deutschen. Erdin kann sich selbst noch daran erinnern, dass seine Eltern Anfang der 80er-Jahre in Berlin den Gazi-Jogurt, den 500-Grammer, im Kühlschrank hatten. Den hat er noch vor Augen. „Es ist für die Türken, die in Deutschland leben, eine ganz wichtige Marke, die mit Qualität verbunden ist.“ Aber der Kickers-Spitze gefriert das blaue Blut. Diese Farbanmutung von Gazi. „Ist ja schon türkische Fahne, da hat man schon gewisse Ängste, ist ja ein konservativer Haufen da oben, ich meine, da wohnen ja nun nicht wirklich die Hartz-IV-Empfänger.“ Auch die U-Bahn-Station auf der Waldau heißt inzwischen Gazi, und wenn nicht gespielt wird, holt Erdin Kultur ins Stadion. Die Lieblinge aus der Türkei, Mustafa Sandal, den sehen auch deutsche Mädchen gerne. „Die kennen den durch die Videoclips auf MTV. Das kostet uns Einiges. Aber wir haben letztes Mal, ich schwör’s Ihnen, da passen nur 12.000 rein, 18.000 Besucher gehabt. Chaos, Chaos.“ Erdin haut auf den Tisch. „Und die Einnahmen gehen alle in die Kinderstiftung.“ Das sind seine Synergien. Erdin nennt das auch Völkerverständigung. „Also ich meine, dass hat kein deutsches und auch kein türkisches Unternehmen gemacht: Als 1999 das Erdbeben in der Türkei war, hat er für einige Millionen ein Waisenhaus komplett wieder aufgebaut.“

Deutsche Kinder bekommen natürlich auch was ab: 42 Fußballclubs hat Gazi mit Trikots und Trainingsanzügen ausgestattet. Kreisliga-B, Bezirksliga, Landesliga. „Wobei wir da, hört sich so doof an, wenn ich das sage, aber ich hab mir natürlich darüber Gedanken gemacht, weil ich gedacht habe, das gibt’s doch nicht, wir sind doch kein Sportausrüster und geben so viel Geld aus für diese kleineren Vereine. Auch wenn das gut ist, weil die Familie isst ja auch Gazi, und wenn der Kleine dann auf dem Fußballplatz Gazi trägt, das verbindet. Aber das ist sehr, sehr viel Geld.“ Seit einem knappen Jahr gibt’s neben Käse und Jogurt auch Sportausrüstung, hergestellt in der Türkei, verkauft in Deutschland: „Warum verkaufen wir? Schauen Sie mal, ich weiß nicht, ob Sie das wissen. Sie gehen in einen Sportladen und möchten Ihre C-Jugend ausstatten. Das sind 14 Spieler, ein Torwart, 15 Leute in der Regel. Sie brauchen Hemd, Hose, Stutzen und so weiter. Mit Nummern, Druck und was weiß ich zahlen Sie zwischen 800 und 1.200 Euro, je nach Marke. Aber die Vereine haben kein Geld mehr. Vieles läuft über die Eltern, die gefragt werden, ob sie nicht ein paar Mark übrig haben für die Kleinen, damit Trikots gekauft werden können.“ Das war sein Ansatz, Trikots mit Gazi drauf, komplett mit T-Shirts und allem Drum und Dran, für die ganze Mannschaft „zu einem Preis, bei dem ein Spielervater irgendwann mal sagt: Mensch, mich kotzt das an, wie die Kinder hier rumlaufen mit den alten Klamotten. Ich spendier neue.“

Nicht nur auf der Spielerbrust, auch sonst geht’s Gazi gut. Dabei hat Garcia ganz klein angefangen, vor 30 Jahren mit Importen von Fetaprodukten aus Bulgarien. Die Mutter Schwäbin, der Vater Spanier, wollte er was für die ethnischen Minderheiten tun. Mit Türken hatte er eigentlich gar nichts zu tun, aber die meisten Gastarbeiter waren eben Türken. Also hat Garcia den Käse für sie geholt, mit seinem alten Mercedes. Jetzt arbeiten in Stuttgart 50 Leute, in Crailsheim sind es 160, in Schrozberg 50; insgesamt kommt die Firma auf etwa vierhundert Mitarbeiter.

„Wir können nicht nur Show machen, wir müssen das auch im Portemonnaie merken. Was meinen Sie, was ‚er‘ sonst sagen würde, wenn ich sage, du, pass mal auf, lass uns doch so einen Mann ins Eis stecken drei Tage. Das würde nicht gehen.“

Aber es geht. Und mehr noch. Die Krönung war für Erdin die Idee für die WM. Der Zauberer Topas wollte zur Eröffnung den Stuttgarter Fernsehturm verknoten und suchte dafür einen Sponsor. „Ein Riesenprojekt. Wir wollten aber auf der Kuppel oben, da wollten wir Gazi, beleuchtet. Vier Wochen lang. Und dann der Knoten.“ Doch die Stadt hat Gazi als Sponsor abgelehnt. „So, und jetzt halten Sie sich mal fest, in Berlin, haben Sie gesehen, was passiert ist mit dem Fernsehturm? Das war ein Telekom-Ball. In Dortmund war’s ein German-Wings-Turm, in Köln war auch die Telekom drauf.“

Erdin hat nachgefragt, wollte wissen, warum das dort geht und in Stuttgart nicht. Die anderen Kommunen hätten kein Geld und bräuchten jede Einnahmequelle, war die Antwort. Aber Erdin sieht das anders. Hätte Daimler gesagt, wir möchten gern unseren Stern aufhängen und finanzieren dann dieses Millionenprojekt mit dem Zauberer, dann wäre es sicher kein glattes Nein gewesen.