: Die Unschuld in Rosa
Radprofi Danilo di Luca dominiert den Giro d’Italia und wundert sich über die Doping-Geständnisse der ehemaligen Telekom-Fahrer. Dabei war er selbst schon in einen Doping-Skandal verwickelt
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Der Killer fährt in Rosa. Danilo di Luca ist der Sieg beim Giro d’Italia, dem nach der Tour de France zweitwichtigsten Mehretappenrennen in der Radsportszene, wohl nicht mehr zu nehmen. Nach den schweren Alpenetappen geht der Mann mit dem tödlichen Spitznamen im rosa Trikot des Gesamtführenden auf die letzten zwei Teilstücke der Italienrundfahrt. In Mailand will er sich abschließend von den Fans feiern lassen, die wieder einmal in Massen an die Strecken des diesjährigen Giro geströmt sind. Von einer Doping-Depression ist im Radsportland Italien nichts zu spüren.
Während das versuchte Doping des Vorjahressiegers des Giro, Ivan Basso, noch für einige Aufregung jenseits des Brenners sorgte, zeitigt die Berichterstattung um das Dopingsystem im deutschen Team Telekom der 90er-Jahre keine große Presseresonanz. Leader di Luca zeigte sich eher verwundert denn entsetzt, als er auf die Geständnisse von Riis, Zabel, Aldag und Konsorten angesprochen wurde. „Ich weiß nicht, warum Riis jetzt entschieden hat zu sprechen“, gab er zu Protokoll. „Für mich war Radfahren immer ein wunderbarer Sport. Und wer auch immer ein Rennen gewonnen hat, er hat es verdient.“
Vielleicht erinnert ihn die Telekom-Affäre auch allzu sehr an seine eigenen Verfehlungen. 2004 ermittelte die Staatsanwaltschaft in Italien in einer Dopingaffäre, in deren Mittelpunkt die Machenschaften eines Sportmediziners namens Carlo Santuccione stehen, auch gegen ihn. Nun will das Nationale Olympische Komitees Italiens (Coni) diesen Fall wieder aufrollen. Es geht um Epo-Doping, um die enge Verbindung di Lucas zu Santuccione. Der hatte, das belegen mitgeschnittene Telefongespräche, in engem Kontakt zu Danilo di Luca gestanden.
Die französische Tageszeitung Le Monde dokumentiert in ihrer Ausgabe vom 18. Juni 2004 einen Anruf di Lucas bei seinem Arzt. Der Profi, der seinerzeit beim Team Saeco unter Vertrag stand, zeigte sich beunruhigt über einen Gesundheitscheck, zu dem er in ein Dopinglabor in Rom einbestellt worden war. Er befürchtete, dass ihm auch Urin abgenommen werden könne, und sagte, dass er Angst vor der Kontrolle habe. Der Arzt beruhigte ihn. Es sei zu erwarten, dass ihm nur wenig Urin abgenommen würde, nur bei einer großen Menge habe er etwas zu befürchten. Dann brachte Dr. Santuccione noch seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass er von dem Test nichts wusste; so als verfüge er üblicherweise über einen heißen Draht zu den Sportorganisationen. Die Protokolle der Telefongespräche stammen aus den Akten der italienischen Staatsanwaltschaft, die 2004 gegen einen Ring von Dopingdealern ermittelt hatte. Gegen 138 Personen liefen Verfahren. Involviert waren unter anderem 15 Radprofis, 77 Nachwuchsfahrer, zwei Sportärzte und fünf Apotheker. Bei zwei Razzien, von denen eine am Rande des Giro 2004 stattfand, stellten Carabinieri größere Mengen an Testosteron, Wachstumshormonen, dem Blutdopingmittel Epo sowie Apparaturen zur Bluttransfusion sicher.
Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch den rätselhaften Tod eines 45-jährigen Amateurfahrers. Carlo Santuccione, der sich als „Ali, der Chemiker“ im Peloton einen Namen gemacht hatte, hat im Zuge des Verfahrens seine Approbation verloren. Radprofi Alessio Galetti, der ebenfalls von Santuccione betreut worden war, starb am 15. 6. 2005 während eines Rennens an plötzlichem Herztod. Schon zwischen 1995 und 2000 war der zwielichtige Mediziner vom italienischen Radsportverband wegen einer Dopingaffäre gesperrt worden. Damals war gegen ihn im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen den dopenden Sportmedizinprofessor Francesco Conconi ermittelt worden. Der gilt als einer der Pioniere im Bereich des Blutdopings und hat früher als die meisten seiner Kollegen an Sportlern mit Epo experimentiert, während er zur gleichen Zeit Forschungsgelder für die Entwicklung eines Nachweisverfahrens für das Blutdopingmittel einstrich.
Von all dem will di Luca in diesen Tagen nichts wissen. Er will auch nicht daran erinnert werden, dass er im Jahr 2004 wegen der Affäre Santuccione aus dem Aufgebot seines Teams für die Tour de France gestrichen wurde, nachdem Tourchef Jean-Marie Leblanc sich gegen einen Start di Lucas ausgesprochen hatte. Entlassen wurde er jedoch nicht. Im Gegensatz zu Eddy Mazzoleni, der bis zum Donnerstag noch auf dem zweiten Platz des Giro-Klassements lag. Dessen Telefonate mit Santuccione, die ebenfalls abgehört wurden, wiesen derart eindeutig auf Epo-Doping hin, dass er bei Saeco nicht mehr länger tragbar war. Sportgerichtlich wurde er bislang ebenso wenig belangt wie di Luca. Er konnte seine Karriere fortsetzen, unter anderem beim deutschen T-Mobile-Team, für das er im vergangenen Jahr unterwegs war.
Auch di Luca, mittlerweile beim Team Liquigas unter Vertrag, fuhr weiter. 2005 gewann er als erster Fahrer die Gesamtwertung der Rennserie ProTour. Seitdem wird er „der Killer“ genannt. Mit dem Giro-Sieg könnte der 31-Jährige eine typische Karriere im Radsport krönen.
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