: Aufklären statt polarisieren
Panterkandidatenpaar (9): Philipp Gliesing und Sebastian Klauder engagieren sich in Thüringen gegen rechts
Es gibt Momente, da fragen sich die beiden, warum sie das eigentlich machen. Unlängst zum Beispiel, als sie gerade eines ihrer 90-Minuten-Seminare über Rechtsextremismus und Zivilcourage in einer Schulklasse beendet hatten. „Die Tür ging auf, ein dunkelhäutiges Kind schaute herein“, erzählt Philipp Gliesing. „Da schallt’s aus der Klasse: Mach die Tür zu, du Nigger!“ Er schaut fragend zu seinem Freund Sebastian Klauder. „An so einem Punkt fragt man sich: Bringt das eigentlich was?“ Der Freund nickt: „Das ist keine Arbeit, bei der man täglich große Erfolgserlebnisse hat.“
Würde man mit geschlossenen Augen zuhören, wie Gliesing und Klauder über ihr Projekt sprechen, man könnte meinen, zwei altgediente Herrschaften vor sich zu haben. Stattdessen sitzen in einem Büro der Pößnecker Sparkasse zwei junge Männer, 23 und 24 Jahre alt. Der eine trägt ein verspieltes Tattoo auf dem Unterarm, der andere schwenkt einen orange getönten Irokesen-Haarbüschel auf dem Kopf. Philipp Gliesing und Sebastian Klauder haben sich in der thüringischen 14.000-Einwohner-Stadt in den vergangenen zwei Jahren einen Namen gemacht. Selbst der örtliche Sparkassenchef war so beeindruckt von ihrem Engagement, dass er sie unterstützen wollte. So dürfte das von den beiden jungen Männern geleitete Pößnecker „Aktionsbündnis Courage“ (ABC) heute die bundesweit einzige Jugendinitiative gegen rechts sein, die es sich in einem klimatisierten Sparkassenbüro bequem machen und ein panzerverglastes Schaufenster in der Fußgängerzone mit Antifa-Plakaten schmücken darf.
Oft haben Gliesing und Klauder inzwischen erzählt, wie es anfing an jenem Abend im April 2005, als den Pößneckern dämmerte, wer sich das prächtige Kulturhaus im Herzen der Stadt unter den Nagel gerissen hatte: der berüchtigte Hamburger Neonazi-Anwalt und Immobilienhai Jürgen Rieger. Mehr als 1.500 Rechtsextreme strömten ins Pößnecker Kulturhaus, um einen frisch verurteilten Rechtsrocker zu feiern. Die Stadt stand unter Schock. Würde die NPD ein Schulungszentrum für Rechtsextreme in dem Gebäude eröffnen? Der damalige Bürgermeister vertrat die Linie: möglichst keinen Wind um das hässliche Thema machen. Unsinn, fanden Pößnecker Jugendliche. Sie wollten etwas tun. Mit etwa vierzig Leuten hätten sie angefangen, erinnern sich Philipp Gliesing und Sebastian Klauder. „Die Punks und einige Linke haben aber schnell das Interesse verloren“, erzählt Gliesing. „Denen war unser Engagement für die Demokratie zu langweilig und staatstragend.“ Heute sind noch etwa zehn junge Leute aktiv. Den harten Kern des Projekts bilden Philipp Gliesing, Student der Kulturwissenschaften, und Sebastian Klauder, der gerade ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolviert.
Das Wohlwollen der örtlichen Honoratioren war ihrer Jugendinitiative nicht vom ersten Tag an vergönnt. Als sie das erste Konzert gegen rechts in die Stadt holen wollten, ließ sie der damalige Bürgermeister abblitzen. Erst unter seinem Nachfolger änderte sich der Kurs. „Wir haben auch an uns gearbeitet“, sagt Philipp Gliesing: Statt zu polarisieren, wollen sie den Blick möglichst vieler Bürger auf das Thema Rechtsextremismus lenken. Sie bemühen sich um eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden und der Polizei. Zu offiziellen Terminen ziehen sich die beiden schon mal ein gebügeltes Hemd an. Inzwischen hat sich auch die Stadtverwaltung des Themas angenommen. Anfang des Jahres düpierte sie den NPD-Mann Rieger, indem sie seine Immobilie vom Amtsgericht unter Zwangsverwaltung stellen ließ. Nun tobt ein Rechtsstreit um das Areal. Sebastian Klauder zieht zwei dicke Ordner aus dem Regal, blättert durch Zeitungsartikel, Handzettel, Sitzungsprotokolle. Die Liste ihrer Aktionen ist beachtlich. Längst geht es nicht mehr nur darum, über den vermögenden NPD-Mann aufzuklären, der das Kulturhaus ersteigert hat. Unterstützt vom örtlichen Bildungswerk, das mit einer professionellen Kraft die Jugendinitiative berät, haben sie Demonstrationen, Informationsstände und Expertenvorträge in Pößneck organisiert – zur Judenverfolgung in der Stadt, zur Zukunft Europas oder gegen Fremdenfeindlichkeit. Regelmäßig treten sie als Referenten in Schulen und bei Fortbildungsveranstaltungen in der Region auf. „Eigentlich könnte man diese Arbeit hier hauptberuflich machen“, sagt Gliesing: „Das wäre locker ein Fulltimejob.“
Warum aber geben zwei junge Leute dafür so viel von ihrer Freizeit dran? „Selbstverständlich“ sei das für ihn, sagt Sebastian Klauder. Sein Freund muss eine Weile nachdenken. Sein Vater, heute Bürgermeister eines Nachbarorts, sei als Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde von der Stasi belästigt worden, erzählt der Student dann. Er selbst finde es „maßlos widerlich“ zu sehen, wie wenig sich heute die Gesellschaft von „autoritären Denkmustern gelöst“ habe. „Und natürlich sind wir ein bisschen stolz, wenn wir merken: Wir erreichen doch was.“
Als dem Rathaus im Frühjahr der juristischen Coup gegen die NPD-Immobilie gelungen war, fürchteten Gliesing und Klauder zunächst, das Problem Rechtsextremismus könne nun in Pößneck für gelöst erklärt werden. „Aber der Alltag widerlegt solche Ideen“, sagt Gliesing. Gerade erst haben sie in der Fußgängerzone eine Solidaritätsveranstaltung für drei ausländische Händler organisiert, deren Läden in der Altstadt nachts attackiert worden waren. Einer der Händler habe schon so viel durchgemacht in Pößneck, dass er beschlossen habe, die Stadt zu verlassen, erzählen die beiden: „Über unsere Aktion hat er sich total gefreut.“ ASTRID GEISLER
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