: „Das ist nicht unser Kirchentag“
Joost Reinke, Lobbyist der evangelikalen Freikirchen, geht erstmals als Gast zum Kirchentag. Dort sind die radikalen Evangelen genauso exotisch wie Katholiken
taz: Herr Reinke, Sie sind seit kurzem offizieller Lobbyist der Freikirchen für NRW. Was ist der Kirchentag für Sie?
Joost Reinke: Ich bin von der rheinischen Landeskirche als Ehrengast eingeladen worden. Das zeigt, dass wir uns annähern. Deshalb fahre ich auch zum ersten Mal in meinem Leben dahin. Ansonsten ist die Rolle der Freikirchen auf dem Kirchentag eine ähnliche wie die der Katholiken. Wie sie rangieren wir unter „ferner liefen“ und dazu noch als „exotisch“. Der Kirchentag ist der Tag der evangelischen Kirche und nicht der der Freikirchen.
Wollen Sie das ändern?
Nein, mit so einem Druck fahre ich nicht nach Köln. Ich werde mir vor allem die politischen Veranstaltungen anschauen, also auf jeden Fall die Andacht von Ministerpräsident Rüttgers. Ich soll ja vor allem auf die Politik einwirken. Dafür ist es wichtig, die religiösen Einstellungen der NRW-Politiker zu verstehen. Und dann möchte ich natürlich am Rande Gespräche führen.
Auf dem Kirchentag werden viele Einstellungen vertreten, die die Freikirchen für gottlos halten: gleichgeschlechtliche Ehe, enge Zusammenarbeit mit dem Islam. Stört Sie das?
Das sind ja alles Fragen, über die unbedingt diskutiert werden muss. Und übrigens auch die Diskussionsveranstaltungen, zu denen ich gehen werde, weil mich die Themen interessieren. Trotzdem darf man nicht vergessen: Vor allem das Thema Homosexualität wird in den Medien hochgekocht. Dabei ist es nur ein winziger Bestandteil des Kirchentages …
… aber es polarisiert vor allem in Ihren Gemeinden.
Ja, wir haben zu Homosexualität eine klare Meinung. Ich will niemanden verurteilen, ich kenne auch selber Homosexuelle. Ihr Weg ist auf jeden Fall nicht der, den Gott wünscht. Ich weiß, dass es schwer ist, sich von alten Gewohnheiten zu befreien. Bei einer Diskussion zu dem Thema finde ich es wichtig, dass es nicht werbend diskutiert wird.
Der missionarische Auftrag ist in Ihrer Kirche sehr wichtig. Können Sie mit Ihren Positionen hier Schäfchen gewinnen?
Schwierig. Der klassische Kirchentagsbesucher ist wohl eher liberal und empfindet ein Leben nach der Bibel, wie wir es vertreten, als festgefahren und altmodisch. Es gibt sicherlich auch hier Menschen, die auf der Suche sind und offen für unsere Ideen. Aber ich fahre nicht mit missionarischer Absicht nach Köln und habe auch keine Traktate in meinem Koffer.
Haben Sie auf dem nächsten Kirchentag mehr zu sagen?
Ich glaube nicht. Wir haben unsere eigenen Großveranstaltungen und unsere Glaubensauslegungen unterscheiden sich von denen der evangelischen Kirche. Wir sind im Gespräch, aber nicht einer Meinung. Ich konnte übrigens in meiner Gemeinde kaum jemanden davon überzeugen, zum Kirchentag zu fahren, auch die jungen Leute nicht. Es reizt sie nicht, sagen sie, weil die Idee von Kirche sich so unterscheidet.
Was ist denn so anders?
Dass wir viel engeren Kontakt zueinander haben. Wenn sich in meiner Gemeinde ein Ehepaar trennen will, versuche ich zusammen mit ihnen, an ihrer Beziehung zu arbeiten. Wenn ein Doppelverdiener-Paar kinderlos bleibt, frage ich nach, ob sie nicht doch Kinder haben wollen. In der evangelischen Kirche werden Scheidungen oft hingenommen. Auch aus Personalmangel wird viel zu wenig Seelsorge betrieben. Dabei kann man dadurch unfassbar viel verändern. INTERVIEW: MIRIAM BUNJES