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Archiv-Artikel

Der Herr steht auf Heavy Metal

Der Kirchentag bietet religiösen Punk und Musikgenres. Das A-Capella-Quintett Wise Guys liefert die offizielle Hymne. Außerhalb der Kirchen haben es diese Musiker in Deutschland aber schwer. Nur in den USA gibt es eigene Charts für Sacropop

von THOMAS WINKLER

Im Zweifelsfall hilft immer die Bibel weiter. „Singt ihm ein neues Lied“, heißt es dort im dritten Vers von Psalm Nummer 33, „greift voll in die Saiten und jubelt laut!“ Das Buch der Bücher beweist es: Der Herr steht auf Heavy Metal.

Es ist diese Bibelstelle, die im Zentrum der Auseinandersetzungen um Sacropop steht. Die Befürworter führen sie an, um zu beweisen, dass ein sattes Gitarrenbrett durchaus gottgefällig sein kann. Die Gegner populärer Klänge im Kirchenschiff dagegen finden, man sollte die Worte des Herrn notfalls auch mal metaphorisch verstehen. Aber ungeachtet dieses seit Jahren schwelenden Streits unter Gläubigen hat sich eine vielgestaltige Szene entwickelt, die christliche Musik nicht mehr nur auf leiernde Vorträge aus dem Gesangsbuch beschränkt sehen will. Ob Pop oder Rock, Hardcore oder Techno, kaum ein Genre, das nicht schon von Christenmenschen adaptiert worden wäre.

Zum Freakstock-Festival treffen sich alljährlich in der Nähe von Gotha bis zu 8.000 Jesusfreaks. Im schon seit den 70er Jahren existierenden christlichen Hardrock (LP-Titel: „The Hell With The Devil“) ist sogar – um sich von den mit Satanismus kokettierenden Metal-Subgenres wie Black Metal abzugrenzen – eine eigene Stilrichtung entstanden, die sich Unblack oder White Metal nennt und vor allem in Skandinavien und den USA präsent ist.

Eine große Rolle spielt die Musik traditionell bei den Kirchentagen. Schon seit Jahrzehnten versuchen die Kirchen mit Hilfe der Musik attraktiver für junge Menschen zu werden. Auch in Köln wird ein üppiges Programm mit populärer Musik von Jazz und Gospel, Blues und Folk bis zum typisch jüdischen Klezmer aufgefahren – darunter auch Bands wie die Wise Guys, die sich nicht ausdrücklich als religiöse Bands vermarkten. Bei dem Quintett aus Köln, das für sich als erfolgreichste A-capella-Gruppe Deutschlands wirbt, hat die Evangelische Kirche auch das offizielle Kirchentagslied „Lebendig und kräftig und schärfer“ in Auftrag gegeben.

Noch aber ist die Situation nicht mit der in den USA zu vergleichen. Dort werden sogar eigene Charts geführt für Contemporary Christian Music (CCM), auf christlichen Rock oder Pop spezialisierte Indie-Labels sind entstanden, die großen Unterhaltungskonzerne betreiben zum Teil eigene christliche Sub-Labels, Bands touren durch Kirchen und spielen auf christlichen Festivals – längst gibt es eine eigene Infrastruktur.

Der Markt ist mittlerweile so groß, dass einzelne Acts auch immer wieder in die regulären Verkaufs-Charts einsteigen können. So groß dieser Markt, so offen er ist für musikalische Trends, so abgeschlossen ist er auch. Dass Bands in den USA gerade wegen ihrer religiösen Inhalte bekannt geworden sind, wird dann sehr viel tiefer gehängt, wenn die Band wie momentan die Emo-Rocker Relient K ausziehen, um das wesentlich säkularere Europa zu erobern. Doch bisher scheiterten Versuche von CCM-Künstlern, eine Karriere im normalen Popgeschäft aufzubauen, fast ausnahmslos. Umgekehrt sind im Mainstream erfolgreiche Bands, die wie die frühen U2 ihr Christentum vor sich her tragen, in religiösen Kreisen oft nicht gut gelitten.

Ein Phänomen, das auch hierzulande zu beobachten ist. In Deutschland macht ein gewisser Xavier Naidoo am erfolgreichsten Musik mit christlichen Inhalten. Doch dessen bisweilen wirre, eher von Haschisch als Weihrauch inspirierten Vorstellungen liegen nicht gerade im ideologischen Rahmen der Staatskirchen. Dabei hat auch Naidoo die Bibel studiert: Er glaubt seit seinen Recherchen allerdings fest daran, dass Jerusalem in Wirklichkeit seine Heimatstadt Mannheim ist und der heilige Berg Zion der Königsstuhl bei Heidelberg sei. Schließlich hat die Bibel immer recht.

Die Wise Guys singen heute beim Eröffnungsgottesdienst, morgen bei „A capella für alle“ (18.30 Uhr) und Sonntag beim Abschlussgottesdienst. Kräftiger dürfte es bei der Metalcore-Show (morgen,15.30 Uhr, Lutherkirche, Siebachstr. 85) oder beim Punkkonzert von „No Brain, no Pain“ (Freitag, 21.30 Uhr, selber Ort) abgehen