: Unter der Käseglocke
Zwei Freies-Radio-MacherInnen haben beim G-8-Gipfel Medienvertreter beäugt: Viele blieben lieber unter sich und schrieben bei den Agenturen ab
5.000 JournalistInnen an der Ostsee: Der G-8-Gipfel war auch ein Medienereignis. Wiebke Dierkes (25) und Jochen Lüttich (29) vom Freien Radio Unerhört aus Marburg haben die Arbeit der Medienmeute kritisch begleitet.
taz: Dreadlocks, Sandalen, T-Shirt – vom Rest der JournalistInnen im G-8-Pressezentrum in Kühlungsborn haben Sie sich deutlich unterschieden.
Jochen Lüttich: Klar sind wir hier und da mal beäugt worden. Vor allem in Heiligendamm waren wir alles andere als overdressed. Die anderen Journalisten waren da im Anzug und stets superchic gekleidet.
Sie waren als Mitarbeiter eines Freien Radios beim G-8-Gipfel. Was war Ziel Ihrer Berichterstattung?
Wiebke Dierkes: Wir wollten hauptsächlich herausfinden, wie die Medien hier vor Ort arbeiten. Dafür haben wir mit vielen Kollegen gesprochen, auch wenn uns das nicht leichtgefallen ist.
Warum? Es sind doch auch nur Journalisten.
Dierkes: Es war gar nicht so leicht auszuwählen, wen wir ansprechen sollten. Wir haben dann gleich selbst so komische Kriterien entwickelt: Sieht der nett aus? Redet die mit uns? Was hat die an? – Absurd, eigentlich.
Sie haben drei Tage die KollegInnen beobachtet. Haben die ihren Job gut gemacht?
Dierkes: Ich fand sehr auffällig, dass sich die Journalisten zum Teil nur aus den Quellen bedienten, die die Leute draußen auch bekommen: Die standen vor den Bildschirmen im Pressezentrum und haben die O-Töne und die Bilder aus dem Fernsehen abgegriffen. Außerdem hatten alle akkreditierten Journalisten die ganze Zeit über freien Zugriff auf die Nachrichtenagentur dpa. Ich glaube nicht, dass alle die paar Kilometer nach Heiligendamm gefahren sind, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. Hier wurde Material übernommen ohne es noch mal zu prüfen. Das finde ich schon bedenklich.
Wie haben Sie sich das denn vorgestellt? Dass knapp 5.000 Journalisten gleichzeitig zu den Pressekonferenzen laufen …
Dierkes: Nein, das nicht. In meinen Augen war das aber so eine Art medialer Event-Tourismus. Das finde ich albern, denn letztendlich macht es das Ereignis viel wichtiger, als es tatsächlich ist. Diese ganze Fixierung auf die Personen der G 8, auf das Familienfoto, auf die Fotos vom Aperitif: Das ist doch absurd. Es gibt spannendere und viel wichtigere Themen, über die man eigentlich hätte berichten können. Ich hatte ständig den Eindruck, das ganze Pressezentrum sei eine riesige Käseglocke. Wenn man nicht mitbekommen wollte, was draußen passierte und sich damit zufrieden gab, was man reingereicht bekam, konnte man hier auch ganz normalen Standardjournalismus machen.
Sie waren Grenzgänger: Bekannte von Ihnen haben gegen den Gipfel demonstriert – Sie standen auf der anderen Seite des Zauns. War das für Sie ein Konflikt?
Lüttich: Am letzten Tag gab es direkt vor dem Pressezentrum noch einmal eine Protestaktion der Clowns-Armee. Ein paar Leute sind dabei auch in Gewahrsam genommen worden. Diese Situation war besonders blöd. Wir kannten einen von den Leuten, die da abgeführt wurden. Wir standen also durchaus immer wieder vor Bekannten.
Dierkes: Bei dieser Demo habe ich mich ziemlich aufgeregt: Wir wollten mit den Leuten sprechen, wurden aber von der Polizei abgewiesen. Genauso wie ein ARD-Team, das neben uns stand. Ich wollte dann warten, um aufzupassen, dass den Leuten nichts passiert, und um Aufnahmen zu haben, falls etwas passiert. Außerdem wollte ich mich solidarisch zeigen. Aber der ARD-Mensch wollte unbedingt sofort mit den Demonstranten sprechen. „Wenn diese Maßnahme vorbei ist, ist es ja langweilig“, hat er gesagt. Dem ging es überhaupt nicht um die Menschen oder deren Inhalte, dem ging es nur um die Bilder. Und das ist genau der Journalismus, der immer solche Proteste bestimmt und den ich echt satt habe.
Wie macht man es dann besser?
Dierkes: Den besten Journalismus macht man eigentlich am besten selber: Jeder kann mehr oder weniger aufschreiben, was er gesehen hat. Das machen Journalisten auch nicht anders. Und ich weiß immer noch am besten, wo was passiert und wie ich das zu beurteilen habe. Sobald ich eine Zwischeninstanz habe, wie zum Beispiel eine Agentur oder einen Journalisten, droht alles zu versickern.
Bleibt da nicht der Leser auf Strecke? Der müsste sich dann ja aus zahlreichen unterschiedlichen Quellen informieren. In einer Zeitung steht dagegen schon alles schön aufbereitet in einem Text.
Dierkes: Ja, aber im klassischen Journalismus fehlt auch was, das wird oft vergessen. Das Problem ist ja, dass die Presse als Wahrheit gilt. Aber das ist sie nicht, sie bringt nur die Sichtweise von Journalisten, die auch Sachen weglassen. So viel Vertrauen habe ich aber in die mündigen Rezipienten, dass sie das auf dem Schirm haben und lernen, mit Information umzugehen. INTERVIEW: PHILIPP DUDEK