: Emissionshandel dient als Ausrede
Die Energiekonzerne begründen ihre Preiserhöhungen gern mit den Kosten für den Klimaschutz
BERLIN taz ■ Kohlendioxid einen Preis geben: Das ist die Idee des sogenannten Emissions-Zertifikate-Handels. Demnach erhalten Unternehmen ein bestimmtes Maß an Verschmutzungsrechten – Zertifikaten – die an der Börse gehandelt werden. Wer weniger Kohlendioxid ausstößt als ihm zugestanden wird, hat Verschmutzungsrechte frei, die er verkaufen kann. Wer mehr ausstößt als zugebilligt, muss dafür zahlen. Nach jeder Handelsperiode wird die Menge der ausgegebenen Zertifikate reduziert, Klimaschutz soll so zu einem festen Bestandteil des Wirtschaftslebens werden.
Mit Verweis auf diesen Mechanismus haben die Energieversorger die Strompreise wiederholt erhöht, obwohl die Verschmutzungsrechte seit 2005 kostenlos ausgegeben werden. Nach Darstellung des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft VIK stieg der Strompreis in Deutschland seit der Ausgabe der Zertifikate um 50 Prozent. Schätzungen zu Folge bescherte diese Praxis allein den vier großen Stromkonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW einen Extragewinn in Höhe von bislang über 2 Milliarden Euro. Weshalb jetzt über die Versteigerung der Zertifikate gesprochen wird: Die EU hat genehmigt, 10 Prozent der Verschmutzungsrechte zu verkaufen, statt zu verschenken.
Natürlich tobt die Industrie angesichts dieser Pläne. Unisono warnen Energieriesen wie RWE oder Vattenfall oder der VIK: Eine Versteigerung würde die Strompreise noch weiter in die Höhe treiben. Was sie aber ja so oder so tun.
Tatsache ist, dass der Handelsmechanismus wegen zu lascher Vorgaben noch nicht funktioniert. So stieg der Treibhausgas-Ausstoß von Fabriken und Kraftwerken in der EU im vergangenen Jahr erneut an. Trotz Emissionshandel bliesen Industrie und Energiewirtschaft im vergangenen Jahr 0,3 Prozent mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft als 2005, wie die EU-Kommission mitteilte.
In Deutschland stieg der Kohlendioxidausstoß von rund 475 Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf etwa 477 Millionen Tonnen im Jahr 2006. In absoluten Zahlen ist die deutsche Industrie damit der größte Klimasünder in der EU. Damit wackelt auch das im Kioto-Protokoll verabredete Reduktionsziel. NICK REIMER