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Archiv-Artikel

Hauptstraßen sind doof

FAHRRADTOURENRATGEBER Auf Schleichwegen gemütlich übers Land per Drahtesel, Traum aller gestressten Großstädter. Nun ist der Radtourband „Rund um Berlin“ erschienen, inklusive Bildungsbürger-Anekdoten

Tour 14: Über Menz geht es zum Stechlinsee, weiter durch die Buchenwälder

VON ANDREAS BECKER

Leute nach dem Weg zu fragen, ist mir superpeinlich. Lieber verfahre ich mich kilometerweit, als dass mir jemand erklärt, ich solle dahinten links und und am Lidl-Markt wieder rechts fahren. Abgesehen davon, dass Landeier sich meist gar nicht auskennen im größeren Umkreis, schicken sie einen auch auf Hauptstraßen, weil sie selber nur Auto fahren. Hauptstraßen aber sind doof – die großen Bundesstraßen haben eh keinen Radweg, weil der Bund ihn nicht finanziert. Die kleineren Landstraßen haben – zumindest in Brandenburg – oft einen Radweg. Der häufig überflüssig ist.

Kartenlesen als Kunst

Als Alternative zur Fragerei gibt es Landkarten, die sollten allerdings auch sorgfältig ausgewählt werden. Mit der Shell-Generalkarte können vielleicht die Asphaltfresser von der Rennradfront etwas anfangen, gemütlichere Zeitgenossen, die langsam fahren, zwischendurch Kaffee und Kuchen einnehmen oder in einen See springen, brauchen Karten in kleinerem Maßstab. Wichtig ist die Kennzeichnung von Radfernwegen wie „Gurkenradweg“ oder „Berlin–Kopenhagen“, mit Abzweig nach Usedom. Mein Favorit ist die Top-Stern-Karte in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsverbund VBB aus dem Pietruska-Verlag. Sie ist sogar GPS-geeignet. Da sie ein übersichtliches Fünf-Kilometer-Gitter enthält, lässt sich sogar oft im Voraus berechnen, wie weit es noch bis zur Kneipe oder zum Bahnhof ist. Oder ob man vorher noch, bevor der Hungerast abbricht, einen Müsliriegel einwirft. Wer dann noch einen gültigen Fahrplan dabei hat (oder ihn auswendig gelernt hat, was ich am tollsten finde) und weiß, wie man die Bahn ohne Fahrradkarte benutzt (schön weit weg setzen vom Rad, notfalls im Zug kaufen), dem kann außer Regen und Nazi-Dummköpfen nicht mehr viel passieren.

Auch für Anfänger im Brandenburger Raddschungel gibt es bereits einige Radreiseführer. Kürzlich kam „Die besten Radtouren rund um Berlin“ raus. 23 eher kurze Touren so um 30 Kilometer werden im kleinformatigen Ringbuch vorgestellt. Kompakte Infos sind das Motto, wenig Schnickschnack. Zu jeder Tour gibt es übersichtliche Landkarten und eine Seite mit Tipps zu Streckencharakter, Bade- und Einkehrmöglichkeiten – mit überlebenswichtigen Warnungen wie: „So viele Cafes und Restaurants es in Strausberg und Buckow auch gibt – unterwegs sind die Einkehrmöglichkeiten rar, sodass man zumindest genug Flüssigkeit dabei haben sollte.“

Kleine Bildungsbürger freuen sich über ebenfalls vorhandene reiseführertypische Anekdoten und Fakten. Das klingt dann bei Buckow beispielsweise so: „Auch Egon Erwin Kisch verbrachte 1927 eine Zeitlang im heutigen Hotel Johst am See.“ Ich finde so was überflüssiger als die Info, dass es hier sogar einen Edeka gibt. Die Besuchermassen an Stätten wie dem Brecht-Weigel-Haus in Buckow oder die ewige Suche nach dem Einstein-Haus in Caputh beweisen allerdings auch, dass solche Infos für den Reisenden durchaus von Interesse sein können.

Ein hässliches Haus

Witziger wären aber womöglich Geschichten wie diejenige, die mir letzten Sommer in Waldsieversdorf bei Buckow passierte. Ich hatte eigentlich vor, am John-Heartfield-Haus vorbeizufahren, kam stattdessen an einem dieser öden, in einer Woche hingestellten Fertighäuser vorbei, und hatte relativ laut vor mich hingesprochen: „Was für ein hässliches Haus.“ Leider hatte ich den stolzen Besitzer nicht hinter seinem offenem Kofferraum gesehen. Der fand meine unsachliche Kritik an seinem Kasten so ungebührlich, dass er samt seinem Kind die Verfolgung per Auto aufnahm. Zweihundert Meter hinter seinem Domizil bremste er mich aus: „Was hast du über mein Haus gesagt?“ Ich hätte eigentlich lachen sollen, aber sagte dann: Kann mich gar nicht erinnern. Welches Haus? Das machte ihn scheinbar noch böser. Das Kind auf dem Rücksitz war meine Lebensversicherung. „Schön, dass Sie mir extra gefolgt sind, um mich kennen zu lernen.“ Das nahm ihm den Wind aus den Segeln. Ich radelte weiter an der sehr malerischen Kleinbahnstrecke entlang. Dieser irre Häuslebauer ist schuld, dass ich bis heute nicht beim Heartfield-Haus war. Das im Reiseführer recht hübsch aussieht.

Wenn man sich „Rund um Berlin“ so ansieht, bekommt man richtig Lust, sofort loszufahren. Zum Beispiel Tour Nummer 14, Rheinsberg–Fürstenberg. Über Menz geht es zum Stechlinsee, dann wird weitergefahren durch die hügeligen Buchenwälder. Man zieht an der AKW-Ruine vorbei und fährt weiter nach Fürstenberg. Da kann man toll am See übernachten oder noch eine Kanutour machen.

■ Ulrike Wiebrecht: „Die besten Radtouren rund um Berlin. 23 Tagestouren abseits des Autoverkehrs“, Via Reise Verlag, Berlin, 2011, 192 Seiten, 12,90 Euro