: Quadratwurzeln und rote Karten
Wenige Tage vor dem EU-Gipfel versucht Kanzlerin Angela Merkel einen Durchbruch in den festgefahrenen Verhandlungen über den Verfassungsprozess zu erzielen. Doch vor allem Polen beharrt auf seinen Forderungen
BERLIN taz ■ Das Schwierigste hat sich Angela Merkel bis zum Schluss aufgehoben. Nach zahlreichen Verhandlungen mit den europäischen Staats- und Regierungschefs in den vergangenen Wochen standen am Wochenende gleich drei Treffen mit hartnäckigen Verfassungsgegnern auf dem Programm.
In Schloss Meseberg bei Berlin traf die deutsche EU-Ratspräsidentin den niederländischen Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende, Polens Staatspräsidenten Lech Kaczyński und zum Schluss den tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek. Vor allem Polen macht Stimmung gegen den Verfassungsvertrag, aber auch Warschau und Den Haag bestehen auf Ergänzungen.
In einem Brief an die europäischen Regierungen fasste die Ratspräsidentin den Verhandlungsstand zusammen. Offen sind demnach unter anderem der weitere Umgang mit der Grundrechtecharta und die Rolle der nationalen Parlamente. Mit keiner Silbe erwähnt wird in dem Papier das Abstimmungsverfahren im Rat. Die polnische Regierung hatte mehrfach angekündigt, das Verfahren, wie es der Verfassungsvertrag vorsieht, nicht akzeptieren zu können. Warschau hat einen eigenen Vorschlag eingebracht, wonach die Stimmengewichtung im Rat künftig aus der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl und der Staatsfläche berechnet werden sollte. Das würde Polen mehr Gewicht bei künftigen Abstimmungen sichern.
Nach dem Treffen am Samstagabend in Meseberg bestätigte Präsident Lech Kaczyński gegenüber polnischen Journalisten, beide Seiten verharrten auf ihren Positionen. Zuvor hatte Kanzlerin Merkel für eine handlungsfähige Union geworben und deutlich gemacht, dass es Grenzen für die Gipfelverhandlungen gäbe: „Wenn ich sage, die Handlungsfähigkeit Europas muss sichergestellt werden, heißt das natürlich, dass es auch rote Linien gibt, die wir nicht aufgeben können.“ Als Kompromissangebot an Polen wurde in den letzten Wochen ein Zusatzartikel zur Energiesolidarität gehandelt. Die deutsche Bundesregierung wollte keine Angaben über Inhalte des Gesprächs machen.
Was für Polen die Quadratwurzel ist, ist für Tschechien und die Niederlande die „Rote Karte“. Sie fordern bei geplanten Gesetzen der EU ein Einspruchsrecht für nationale Parlamente. Der niederländische Botschafter Peter Paul van Wulfften Palthe erklärte im Gespräch mit der taz: „Europa darf nicht zum Superstaat werden.“ Das bedeutet für die Niederlande auch: „Der neue Vertrag soll ein Änderungsvertrag sein, keine Verfassung“, so der Botschafter. Einen Teilerfolg haben die Niederländer schon errungen. Merkel erklärte vergangene Woche, verfassungsähnliche Symbole sollten im neuen Vertrag nicht mehr vorkommen. Doch damit sind noch nicht alle strittigen Punkte ausgeräumt: Die niederländische Regierung hält an der Roten Karte fest. Auch aus Tschechien kommt weiterhin Unterstützung für den Vorschlag, das bestätigte der tschechische Botschafter in Berlin, Rudolf Jindrak, der taz. NICOLE MESSMER