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Archiv-Artikel

Von allem, was gut ist, reichlich

WUCHTBRUMME Ein Stollen enthält viel Butter und Mehl, dazu kommen getrocknete und kandierte Früchte, Zucker und Gewürze. Wer ihn isst, verleibt sich eine bald 700-jährige Geschichte ein

Richtung Dresden

■ Selbst backen – das Rezept: http://goo.gl/uR6Dl8

■ Backen lassen – Bezugsquellen für original Dresdner Stollen: http://goo.gl/Ti9nng (sm)

VON SIBYLLE MÜHLKE

Stollen – auch Stolle, Striezel, Christbrot oder Klöben – ist die kulinarische Gegenthese zum zierlichen Adventskeks. Während man locker einen langen Nachmittag damit verbringen kann, zwei Handvoll feiner Plätzchen herzustellen und zu dekorieren, hat man nach einer ordentlichen Stollen-Session gleich mehrere Kilo des butter-, zucker- und rosinenlastigen Hefekuchens. Nach dem Backen brechen allerdings erst mal schwere Zeiten an: Der Appetit muss gezügelt werden, bis das Festtagsgebäck durchgezogen ist. Denn backfrisch schmeckt Stollen einfach nur fettig, süß und belanglos. Das besondere Aroma entwickelt sich erst mit der Zeit, nach einigen Wochen der Lagerung. Wenn er kühl liegt – optimal sind Temperaturen zwischen 3 und 10 Grad –, hält sich Stollen ewig. Er eignet sich also für verschiedene Genusstypen: gargantuanische Gierschlunde können angesichts der prachtvollen Größe eines Stollens ordentlich reinhauen; wer sich Genusserlebnissen sicherheitshalber nur in geringer Intensität aussetzt, kann sich jeden Tag ein millimeterdünnes Scheibchen absäbeln – und das theoretisch so lange, bis die Märzenbecher wieder blühen.

Noch viel länger als die Haltbarkeit des schweren Hefegebäcks ist seine Tradition. Der Begriff Stollen geht auf das Althochdeutsche Wort stollo zurück, was so viel heißt wie Pfosten oder Stütze. Vorläufer unseres heutigen Festtagskuchens – damals ein schlichtes Weizengebäck, aber schon mit der charakteristischen Langform – gab es bereits im 14. Jahrhundert. Darüber, ob der Urstollen Fasten- oder Festtagsspeise war, ist man sich nicht ganz einig. Einerseits war so ein helles Weizenbrot damals ein ziemlicher Luxus, andererseits wurden diese Protostollen vor allem zum Adventsfasten gebacken und verzehrt. Den Sachsen jedenfalls war das Gebäck bald zu frugal. Ende des 15. Jahrhunderts erwirkten Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Albrecht bei Papst Innozenz VIII. persönlich eine Befreiung von dem bis dahin geltenden strengen Butterverbot. Die wurde auch gewährt, allerdings mit einem kleinen Haken: Der geschäftstüchtige Papst gestattete zwar den sächsischen Bäckern, statt Rüböl gute Butter an den Teig zu tun – diese mussten dafür aber auch ein bisschen Geld für den Kirchenbau spenden. In den folgenden Jahrhunderten taucht der Stollen in der ein oder anderen Form immer mal wieder in historischen Dokumenten auf. Seinen nächsten richtig großen Auftritt hat er dann aber 1730 beim Zeithainer Lustlager. Das Event mit dem suggestiven Namen war eine von August dem Starken in der Nähe von Riesa veranstaltete Truppenschau mit wenig militärischer Strenge und viel barocker Pracht, die schon damals europaweit Furore machte und als Jahrhundertspektakel gilt. Dort wurde ein meterlanger, knapp zwei Tonnen schwerer Stollen aufgetragen, der 24.000 Gäste satt gemacht haben soll.

Mehl, Eier, Milch und Hefe sind als Zutaten des historischen Zeithainer Stollenmonsters überliefert. Wann Mandeln, Rosinen, kandierte Früchte und Gewürze in die Rezeptur geraten sind, ist nicht ganz klar. In jedem Fall gehören sie heute zum Rezept des Dresdner Stollens, dem gehaltvollsten und – berücksichtigt man die vielen sächsischen Komponenten in der Striezelhistorie – sicherlich auch klassischsten Stollen von allen. Was genau in den Dresdner reindarf, ist längst gesetzlich geregelt. Dresdner Stollen ist patentiert, die Herkunftsangabe ist geschützt – damit hat das rosinige Hefegebäck denselben Status wie etwa Lübecker Marzipan, Bamberger Hörnle oder das schwäbisch-hällische Landschwein. Angeblich war die Anerkennung der Bezeichnung „Dresdner Christstollen“ sogar Gegenstand der deutsch-deutschen Einigungsgespräche.

Identitätsstiftend ist der Stollen nicht nur für Regionen und Staaten, sondern auch für Individuen. Die einen essen ihn am liebsten lastwagenweise, können sich Weihnachten ohne nicht vorstellen und würden lieber auf Tanne und Lametta verzichten als auf ihren Stollen. Die anderen verabscheuen das schwere Gebäck wegen der Rosinen oder der gutbürgerlichen Konnotationen. Doch eins ist klar: Ganz gleich, ob man ihn mag oder verschmäht, der Stollen ist eine weihnachtliche Konstante. Und das bleibt er hoffentlich auch noch ein paar hundert Jahre.