YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTEN : „Ich habe Angst, große Angst“
Ein Satz Fidel Castros wird 50. Die Widerstand dagegen auch. Beides bestimmt bis heute Kubas Kulturpolitik
Es ging in den letzten Wochen in den offiziellen kubanischen Medien oft um den 50. Geburtstag eines Satzes. Fidel Castro sprach ihn vor Schriftstellern und Künstlern im großen Saal der Nationalbibliothek. Jene Ansprache, bekannt geworden als „Rede an die Intellektuellen“, bestimmt die Kulturpolitik des Landes und Repressionen gegen Kunstschaffende bis heute. Der junge Guerillero schloss mit dem unwiderruflichen Diktum: „Innerhalb der Revolution alles, gegen die Revolution gar nichts.“ Es war der Beginn einer Zwangsehe zwischen Kommunistischer Partei und Schreibfedern, zwischen olivgrünen Uniformen und Pinseln, zwischen Zensur und Kontrollierten.
Inmitten des Wortschwalls des Führers – so wird erzählt – widersetzten sich einige Künstler. Einer von ihnen, Virgilio Piñera, ein schmaler, schwuler Dichter, warf in den Raum: „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe Angst, große Angst.“ Zum Ärger des Redners und unter verhaltenem Grinsen der Versammlung. Später starb er in Verbannung, als Homosexueller verunglimpft, ausgegrenzt wegen seiner unbequemen Haltung.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der Satz von Castro den von Piñera nie losgeworden ist. Manche meinen, zu seinem 100. Jahrestag werde womöglich nur noch Piñeras Satz in Erinnerung sein. Aber bis dahin versuchen die Zeitungen, uns glauben zu machen, dass der Máximo Líder damals die Grundzüge einer wahren Kunst darlegte. Sie lassen die Details weg, die den künstlerischen Niedergang Kubas kennzeichneten. Sie verharmlosen das „graue Jahrfünft“ von 1971 bis 1975, in dem versucht wurde, die Gebote des sozialistischen Realismus durchzusetzen; die Zeit, als glückliche Pioniere gemalt, Märsche komponiert und Filme über Bauernkooperativen gedreht wurden. Sie vergessen die, die offen eine Religion praktizierten, einer anderen Ideologie als der herrschenden anhingen oder ihre Homosexualität offen lebten – die aus den Kulturinstitutionen geworfen wurden. Politische Loyalität war wichtiger als Talent. Dunkle Zeiten für die Kunst.
Heute wollen uns die Exegeten des Comandante einreden, seine Worte seien von Extremisten falsch interpretiert worden. Der Satz ist in Marmor gemeißelt, dabei ist der Fundamentalismus, der ihm innewohnt, offenkundig. Erinnern wir uns an diesen Satz, hören wir im Hintergrund das bissige Grinsen: den Einwurf eines kleinen Intellektuellen mit fast kahlem Kopf, der sich mit zartem Stimmchen zum Protagonisten jener Runde machte; der Castro die erschrockene, leise Nachricht der Intellektuellen übermittelte.
■ Die Autorin lebt als unabhängige Bloggerin in Havanna Foto: dpa