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SPD übt neue Patriarchatskritik

Vor dem Zukunftskonvent der Sozialdemokraten an diesem Wochenende sind die Parteifrauen uneins, wie kämpferisch der Feminismus im neuen Grundsatzprogramm sein soll. „Gleichstellungspolitik ist mehr als Mütterpolitik“, findet Juso-Vize Drautz

VON HEIDE OESTREICH

Wie wirkt eine Partei attraktiv für Frauen? Die CDU geht mit ihrer Kanzlerin auf Stimmenfang und räumt mit Ursula von der Leyen die familienpolitischen Positionen der SPD ab. Sozial und feministisch interessierte Frauen drohen an die Linke verloren zu gehen. Kein Wunder, dass viele SPD-Frauen nun im neuen Grundsatzprogramm mehr Profil zeigen wollen. Aber welches?

Ein „neues Gleichstellungskapitel“ wollen vor allem die Jusos für das Programm, das die Partei am Wochenende in Hannover auf ihrem Zukunftskonvent diskutieren wird. Im bisher existierenden „Bremer Entwurf“ umfasst das Thema „Gleichstellung der Geschlechter“ nur wenige Zeilen, monierten sie und fragten in einer Erklärung: „Alte Tante SPD, war das schon alles?“

In diesen Zeilen nämlich würden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Gender Mainstreaming als künftige Strategien der Gleichstellung vorgestellt. „Uns reicht das so nicht. Mit echter Gleichstellungspolitik und einer wirklichen Auseinandersetzung über die Geschlechterfrage im 21. Jahrhundert hat der Programmpassus sehr wenig zu tun“, finden die Jusos. „Gleichstellungspolitik ist mehr als Mütterpolitik“, präzisiert Juso-Vize Cordula Drautz ihre Kritik gegenüber der taz. „Und Gender Mainstreaming als zahnloser Tiger reicht als Gleichstellungspolitik einfach nicht aus“, findet sie.

Die Jusos haben einen Entwurf für ein neues Kapitel geschrieben. Darin betonen sie das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern als strukturelles Hindernis für Frauen: „Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben wir noch in einer männlich strukturierten Gesellschaft.“ Frauen würden in Beruf und Gesellschaft „nur subtiler, nicht aber weniger diskriminiert“.

Diese Charakterisierung der Gesellschaft schlägt sich nieder in einem Satz, den die Jusos aus dem bisher geltenden Berliner Programm wieder übernehmen wollen: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“. Diesen Satz hatte die Programmkommission aus dem Bremer Entwurf gestrichen, pikanterweise auf Anregung dreier Frauen: Expräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, NRW-Landeschefin Hannelore Kraft und die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, Kerstin Griese. Sie hatten anstelle des kämpferischen Schlusssatzes eingefügt: „Wer die menschliche Gesellschaft will, wer ein Leben in Partnerschaft will, muss die Gleichstellung von Mann und Frau hier und heute verwirklichen.“

Sie wollten „eine positive Aussage“ und fanden, der alte Satz habe in seiner Negativaussage einen „leichten Retro-Touch“, so Griese zur taz. „Er war in seiner Zeit richtig und wichtig, aber zukunftsorientiert ist er nicht gerade.“ Heute gingen junge Frauen und Männer erst mal davon aus, dass sie gleichgestellt sind, meint Griese: „Sie wollen nicht etwas überwinden, sondern ihre Lebensentwürfe miteinander vereinbaren.“ Viele junge Menschen hätten ihr dies bestätigt. Offenbar waren diese jungen Menschen keine Jusos. Deren Vize Drautz nämlich analysiert die Gesellschaft durchaus als „männlich strukturiert“. „Darunter leiden natürlich auch junge Männer“, meint sie. Auch die wollten etwa männliche Macht- und Karrieremuster abschaffen, „überwinden“ eben.

Kann man solche Strukturen auch ohne Überwindungsrhetorik überwinden, etwa durch Gender Mainstreaming? Oder muss man die Dinge zugespitzt formulieren? Zu Letzterem scheint sich die Diskussion zu neigen – nicht zuletzt, weil viele in der SPD den Programmentwurf insgesamt als zu profillos empfinden. SPD-Vize Elke Ferner und Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier haben den Aufruf der Jusos unterzeichnet. Auch wichtige Bundestagsabgeordnete wie die frauenpolitische Sprecherin Christel Humme stehen auf der Liste. Und mit Nina Hauer findet sich sogar eine der „Netzwerkerinnen“ darauf, die bisher nicht als feministisch profiliert auffielen. „Ich finde es sinnvoll, dass die Debatte jetzt weitergeht“, so Ferner zur taz. Sie ist sicher, dass „wir das Kapitel gemeinsam überarbeiten werden“. In der Redaktionsgruppe, die dem Parteitag im Herbst eine endgültige Fassung zur Verabschiedung vorlegen wird, sitzt neben Generalsekretär Hubertus Heil und Wolfgang Thierse auch die designierte SPD-Vizechefin Andrea Nahles. Und die hat bereits angekündigt: „Wir müssen das Programm umkrempeln.“

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