Die Anderen

Die Opposition in Polen müsste eigentlich leichtes Spiel haben. Ein Besuch bei der Vorsitzenden der Grünen

AUS WARSCHAU FRIEDERIKE GRAEFF

Zur Gleichheitsparade ist Magda Mosiewicz in einem schwarzen Zil gekommen – eine russische Repräsentationslimousine die schon Chruschtschow fuhr und die unglaubliche Abgaswolken hinter sich her zieht. „Die Leute haben keinen Respekt, wenn du mit dem Fahrrad kommst“, sagt Magda Mosiewicz. Doch der Zil hat die Gegendemonstranten nicht fern gehalten. Er ist auch für die polnische Regierung unerheblich, die trotz EU-weiten Befremdens gerade einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, der schwule oder lesbische Lehrer mit Berufsverbot bedroht.

Für die Vorsitzende der polnischen Grünen, Magda Mosiewicz und ihre Partei, die als einzige die Gleichberechtigung Homosexueller fordert, sind die Zeiten schwierig. Man könnte sich, angesichts eines Umweltministers, der für sein Land höhere CO-Emissionsquoten erreichen will die Frage stellen ob es nicht zu früh ist für eine Partei, die sich Umweltschutz, Schutz von Minderheiten und die Stärkung der Zivilgesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat. „Die Schwulen- und Lesbenbewegung hat jetzt ihre beste Zeit“, sagt sie überzeugt. „Früher hat sich kein Mensch darum gekümmert. Aber seit Kaczynskis Verboten hat die Gleichheitsparade so viel Zulauf wie nie zuvor“. Allerdings scheint es alles andere als sicher, dass die polnischen Grünen diese Unterstützung für sich nützen können.

Als Magdalena Mosiewicz vor drei Jahren Vorsitzende der polnischen Grünen wurde, hatte es schon drei grüne Parteien gegeben. Die ersten “Zieloni“ wie sie auf Polnisch heißen, hatten sich 1990 beim Widerstand gegen das Atomkraftwerk in Zarnowiec gegründet, um sich wenige Jahre später wieder aufzulösen, die zweiten bestanden weitgehend aus einer Familie und ihren Freunden, die eine Art Blut-und Boden-Ökologie vertraten und die dritten waren eine mehr oder minder professionelle Erpressungspartei, die potentiellen Investoren Umweltgefährdung vorwarf, um anschließend gegen Bezahlung ökologische Unbedenklichkeit zu attestieren. Und mittlerweile sagen auch diejenigen, die es gut mit ihnen meinen, dass die Kinderphase für die polnischen Grünen vorbei sei. Dass es an der Zeit sei, mehr als ein gutes Grundsatzprogramm vorzuweisen. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn man kein Büro und keine Mitarbeiter hat und allein die Mitgliederversammlung durch das Porto für die dreihundert Einladungen zur Existenzbedrohung wird.

Magdalena Mosiewicz, die ihre Karriere als Filmemacherin begann, erklärt sie, habe nie Politikerin werden wollen. Sie trägt Jeans und rote Stoffschuhe, eine schmale Person, die wenig Ähnlichkeit hat mit den Frauen jenseits der dreißig in Kostüm, so wie sie im Parlament und in den Straßen Warschaus zu sehen sind.

Gegründet haben sich die polnischen Grünen 2003. Nicht aus einer breiten Protestbewegung heraus, sondern als eine Diskussionsgruppe von zehn Leuten, die eine Kampagne für den polnischen EU-Beitritt organisierte. Es waren Ökologen, Feministinnen, Schwule und Lesben - die Außenseiter der Gesellschaft. Magdalena Mosiewicz kannte einen der Gründer und jetzigen Sprecher von einer Fahrraddemonstration, und als sich die Grünen offiziell zu einer Partei formierten, sagte sie ihnen: „Viel Glück. Ich werde euch auf jeden Fall wählen. Tschüss“. Und dann wurde sie erste Parteivorsitzende.

Sie wurde Vorsitzende einer Partei, die erst einmal von anderen “Grünen“, die öffentlich nicht in Erscheinung traten, wegen Namensgleichheit mit den deutschen Grünen verklagt wurde und sich daraufhin in „Grüne 2004“ umbenennen musste. Die neuen Grünen wurden in den Zeitungen lächerlich gemacht oder als Agent der deutschen Grünen gehandelt und wenn sie öffentlich forderten, dass Homosexuelle heiraten dürften, sah man sie an, als seien sie verrückt. „Das ist etwas Privates, es hat nichts mit Politik zu tun“, sagten die Leute. Man fand es sonderbar, dass alle Ämter paritätisch besetzt wurden. Als die polnische Regierung unter dem Motto “Wir sterben für Nizza“ eine Stimmengewichtung zugunsten Polens in der EU durchsetzen wollte, organisierten die Grünen die Gegen-Kampagne „Wir sterben nicht für Nizza“. Das hat man ihnen als Landesverrat angekreidet. 2004 nahmen sie an der Europawahl teil. Sie hatten damals weder ein Büro noch eine feste Telefonleitung und es gelang nur in nur vier von 13 Regionen, die erforderlichen 10.000 Stimmen sammeln, um bei der Wahl antreten zu können. „Wir hatten damit keine Chance und waren nicht wirklich in der Stimmung, Wahlkampf zu machen“, sagt Magda Mosiewicz. Sie bekamen 0,27 Prozent der Stimmen.

Das ist die düstere Sicht der Dinge. Zeitgleich wuchs die Zahl der Mitglieder auf fünfhundert, man fand kostenlose Büroräume in dem Warschauer Kulturzentrum „Le Madame“ und die Partei schrieb ihr erstes Programm. Kritiker bemängeln allerdings, dass sie es sich leicht gemacht hatten, indem sie es stark an das der deutschen Grünen anlehnten. In jedem Fall sind die Ziele ähnlich: Die Zivilgesellschaft zu stärken und die Geschlechterdemokratie, den Markt dem allgemeinen Wohl unterzuordnen und Minderheiten zu schützen. Vielleicht kann es man es auch als Erfolg werten, dass sich bei den Parlamentswahlen 2005 die abgespaltenen Sozialdemokraten Polens SDPl und Arbeiterunion Unia Pracy zu einer gemeinsamen Kandidatenliste bereit fanden, da sich die Grünen bewusst waren, noch zu schwach für eine eigene Liste zu sein. Doch die gemeinsame Liste verfehlte mit den 3,89 Prozent Stimmen den Einzug ins Parlament und die Grünen mit ihren 0,17 Prozent auch die Hürde für die Parteienförderung.

Agnieszka Rochon, die Leiterin des Warschauer Büros der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung hat dafür gesorgt, dass die polnischen Grünen die Computer und die Räume der Stiftung für ihre Veranstaltungen nutzen dürfen. Sie hat Respekt vor ihrer Ausdauer und Sympathie für ihr Politikverständnis, das sie „sehr idealistisch“ nennt. Rochon selbst betrachtet die politische Szene nüchterner, sie nennt es “Philosophie für Hausfrauen“, wenn sie sagt, dass es viel Zynismus in den politischen Kreisen gebe, vor allem in den populistischen Parteien.

Politiker ist in Polen ein Beruf und dahinter steckt ein Ich als Privatmann“, sagt sie. „Und oft sind es gerade solche, die sich in der Privatwirtschaft nicht zurechtgefunden haben“. In einem Land, in dem plötzliche politische Meinungswechsel zur Tagesordnung gehören, muss das Beharren der Grünen auf ihren Überzeugungen naiv wirken. „Wenn man in der Politik eine Rolle spielen will, muss man auch taktieren“, sagt Rochon. “Ich muss nicht um jeden Preis in der Politik bleiben“, sagt Magda Mosiewicz.

Als die Grünen mit den Politikern der Unia Pracy über eine künftige Zusammenarbeit sprachen, stritt man über die Änderung des Abtreibungsrechts, das einen Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmefällen ermöglicht. Damals setzten sich die Feministinnen bei den Grünen durch, die verlangten, dass eine Fristenlösung festgeschrieben werden sollte. Daraufhin verließen einige Politiker der Unia Pracy die Verhandlungen. „Es waren die prominenten Politiker“, sagt Agnieszka Rochon und diejenigen, die anders als die Grünen politische Erfahrung besaßen. Es heißt, dass sich die Grünen in der informellen Koalition über den Tisch gezogen fühlten. Magda Mosiewicz bestreitet das. Sicher ist, dass sie sich keine Neuauflage des Bündnisses mit den Nachfolgern der SDPl wünscht, sondern eine Verbindung mit einer der neuen Parteien, die wie Pilze aus dem Boden wachsen, der Frauen- oder Jugendpartei zum Beispiel.

Was sie nicht will, ist eine Zusammenarbeit mit Krzysztof Bosak von der rechtsextremen Liga der polnischen Familien. Nicht für einen Nachmittag und auch nicht für ein feministisches Anliegen. Magda Mosiewicz kannte Bosak, den jüngsten Abgeordneten des Sejm, zunächst nur vom Hörensagen. Er war damals Chef der allpolnischen Jugend, von deren rechtsgerichteter Propaganda sich inzwischen sogar die Liga der polnischen Familien distanziert hat. Damals soll Bosak Steine auf eine Demonstration von Feministinnen geworfen haben, doch als Magda Mosiewicz ihn in einer Fernsehtalkshow traf, war er bereits jüngster Parlamentsabgeordneter und bestritt das Steinewerfen vehement. Stattdessen machte er ihr Komplimente für den idealistischen Geist der Partei. Das nächste Mal trafen sie sich bei einer Demonstration vor dem Sejm. Es ging um den Plan der Regierung, das Recht des ungeborenen Lebens in die Verfassung aufzunehmen und während Bosak bei den Befürwortern mitlief, war Magda Mosiewicz bei den Gegendemonstranten. Zwischen ihnen stand eine breite Polizeikette, aber Bosak erkannte sie und winkte herüber.

Man kann Bosaks Freundlichkeit herablassend finden, aber sie ist harmlos. Magda Mosiewicz hat ihr Foto auf der Internetseite „Red watch“ gefunden, die von der rechtsradikalen Organisation „Blood and Honour“ betrieben wird. Dort werden die Bilder von Menschen veröffentlicht, mit Angabe der Orte, an denen sie zu finden sind, die von „Blood and Honour“ sozusagen zum Abschuss frei gegeben worden sind, weil sie sich für ein Polen einsetzen, in dem Minderheiten das Recht auf ein Leben nach ihren Vorstellungen zugestanden wird.

Magda Mosiewicz klingt gelassen, wenn sie über ihren Namen auf der “Blood and Honour“-Liste spricht. Sie klingt gelassen, wenn sie von den Zusammenstößen mit der allpolnischen Jugend erzählt. „Ich verurteile die Leute nicht, die sich ihnen anschließen“, sagt sie. „Wenn man entscheiden müsste, wer von uns stärker diskriminiert ist, dann sind sie es. Wir sind gut ausgebildet und selbstbewusst und auf der anderen Seite stehen die Verlierer, die schon in ihrer Kindheit verprügelt worden sind“.

Es sind die gut Ausgebildeten und Selbstbewussten, die sich bei den Grünen dafür einsetzen, dass Verhütungsmittel von der Krankenkasse bezahlt werden, die dafür streiten, dass die Frauen, die qualifizierter sind als ihre männliche Kollegen, in gleichem Maß Führungspositionen bekommen. Es sind allerdings vor allem Studenten, die mit Begeisterung Transparente malen und es kommt vor, dass sie nach zwei Semestern etwas entdecken, dass sie mehr interessiert.

Im letzten Winter haben hundert von ihnen im Streit um die Via Baltica, eine Autobahn durch ein unter Naturschutz stehendes Tal, bei minus zwanzig Grad im Freien gezeltet. Dariusz Szwed, der Sprecher der Grünen, hat anlässlich des Besuchs von EU-Kommissionspräsident Barroso eine Demonstration organisiert. „Rettet uns vor unserer Regierung“, haben die Demonstranten Barroso zugerufen und einige Wochen später hat Szwed die Vorladung zu einem Prozess wegen Einberufung einer unangemeldeten Demonstration in seinem Briefkasten gefunden. Die Grünen wollen den Prozess gegen Szwed dazu nutzen, um gegen die Pflicht zur Voranmeldung einer Demonstration zu kämpfen. Die Helsinki Stiftung für Menschenrechte will sie dabei unterstützen und Szwed ist bereit, zwei Wochen ins Gefängnis zu gehen. Trotzdem klingt die Aktion nicht sonderlich erfolgsversprechend. So wenig wie der Gesetzesvorschlag, den eine NGO für ein liberaleres Abtreibungsrecht ausgearbeitet hat und den die postkommunistische SLD zwar ins Parlament, aber nie zur Abstimmung brachte.

Es gibt Beobachter, die erzählen, dass die polnischen Grünen auf Veranstaltungen oft im Ton des Propheten sprechen, der im eigenen Land nichts gilt. Retter einer Welt, die nicht gerettet werden will. Magda Mosiewicz hat zu viel Selbstironie fürs Weltrettertum. Vielleicht ist sie auch zu wenig machtbewusst. Seit einem Jahr ist sie im Vorstand der europäischen Grünen. Seitdem bekommt sie hundertfünfzig Euro pro Monat für ihre Arbeit. Ansonsten arbeitet sie als freie Kamerafrau und es klingt nicht so, als würde sie damit sonderlich viel Geld verdienen.

Wenn man sie fragt, wo die polnischen Grünen in zehn Jahren stehen werden, dann lacht sie und sagt, dass das politische Pendel in Polen regelmäßig von einer zur anderen Seite ausschlage. „Auf jeden Fall habe ich habe eine Menge integre Leute kennen gelernt“.

FRIEDERIKE GRAEFF, Jahrgang 1972, ist Kulturredakteurin der taz-nord