: Fahrlässige Gefährdungen
Jedes 20. Kind in deutschen Autos wird völlig ungesichert transportiert. Diese statistische Größe konkretisierte sich jetzt in Gestalt eines völlig vermeidbaren Unfalls Am Wall. Doch auch, wenn Kindersitze vorhanden sind, kann man viel falsch machen
Genau vor einer Woche gab es auf der Straße Am Wall einen ebenso folgeschweren wie vermeidbaren Unfall: Eine Autofahrerin wollte staubedingt wenden, prallte aber gegen einen Laternenmast. Die Frau blieb unverletzt, ihre dreijährige Nichte jedoch musste mit einer Kopfververletzung per Rettungswagen ins Krankenhaus eingeliefert werden – das Mädchen war weder angeschnallt, geschweige denn mit einem Kindersitz gesichert. Ihre Tante muss sich nun wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Statistisch fällt das Unfallopfer von vergangener Woche in die Gruppe von bundesweit fünf Prozent Kindern, die, einer Erhebung der Bundesanstalt für Straßenwesen zufolge, völlig ungesichert im Auto sitzen. Eine andere von der Bundesanstalt ermittelte Zahl ist allerdings noch besorgniserregender: Unter den 95 Prozent der im Prinzip gesicherten kindlichen VerkehrsteilnehmerInnen verbirgt sich ein gutes Drittel, das lediglich mit Erwachsenengurten gesichert ist. Dabei gilt die klare Regel: Kinder bis zum 12. Lebensjahr, die kleiner als 150 Zentimeter sind, müssen mit speziellen „Rückhalteeinrichtungen“ – sprich Kindersitzen – geschützt werden.
Ungesichert mitfahrende Kinder erleiden siebenmal so häufig tödliche oder schwere Verletzungen wie ordnungsgemäß gesicherte, das wiederum haben die Unfallforscher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) herausgefunden. Entscheidend sei bei der Sicherung nämlich das „wie“: Oft verhinderten Wülste auf den Polstern oder zu kurze Gurte auf dem Beifahrerplatz, dass insbesondere Babyschalen fest mit dem Sitz verbunden werden können. Ohnehin sei dringend zu empfehlen, sagen die GDV-ExpertInnen, Kinder auf der Rückbank zu platzieren. Neben der vergrößerten Knautschzone spricht dafür vor allem der immer flächendeckendere Einbau von Airbags für die Vordersitze – die aber werden für Kleinkinder bei einem Unfall zur größten Gefahrenquelle. Die Wucht, mit der sich die Luftsäcke beim Aufprall füllen, ist nur für erwachsene Körper verkraftbar. Bei neueren Modellen lassen sich die Beifahrer-Airbags deaktivieren – man muss es aber – Risikofaktor Mensch! – jedes Mal überprüfen. Wenn Kinder vorne mitfahren, was gesetzlich erlaubt ist, muss der Sitz zumindest maximal zurückgeschoben werden.
Bei der Unfallvorbeugung sind deutliche nationale Unterschiede zu verzeichnen: Während es hierzulande üblich ist, Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr mit dem Gesicht zur Fahrtrichtung zu setzen, ruft die schwedische Regierung ihre Bevölkerung seit Jahren in groß angelegten Kampagnen dazu auf, dies frühestens bei vierjährigen Kindern zu tun. Der entscheidende Vorteil: Bei einem Aufprall des Wagens wird der Körper mit der ganzen Fläche in die schützende Sitzschale gedrückt. Sitzen die Kinder in Fahrtrichtung, müssen allein die Gurte die ganze Wucht des Aufpralls auffangen – Kopf und Arme werden ruckartig nach vorn geschleudert.
Die Statistik gibt den Schweden recht: Die dortigen Ein- bis Dreijährigen erleiden deutlich seltener schwere Verletzungen im Auto als ihre deutschen Altersgenossen. Neben dem geringeren Verkehrsaufkommen in Skandinavien wird dafür vor allem der schlichte 180 Grad-Kniff verantwortlich gemacht. Von solchen essentiellen Feinheiten allerdings war die Bremer Autofahrerin Am Wall weit entfernt.
HB