Weite Wege für kleine Füße

Achtjähriger Junge wohnt gegenüber einer Schule und darf nicht hin. Die künftigen dritten Klassen sind schon jetzt mit 30 und 31 Kindern zu voll. SPD spricht von Fehlplanung, Bildungsbehörde von „superspeziellem Einzelfall“

Die schon oft beklagten vollen Grundschulklassen führen in Harburg jetzt zu einem grotesken Fall. Der achtjährige Samuel ist kurz vor den Ferien mit seiner Familie in den Lentheweg direkt gegenüber der Schule Alte Forst gezogen. Aber obwohl ihn seine Mutter Nura Elias dort schon vor einem halben Jahr anmeldete, wird er dort nicht aufgenommen, weil die dritten Klassen schon 30 und 31 Kinder haben.

„Der Schulleiter sagte uns im Winter, dass er Samuel nicht aufnehmen könne, ihn aber auf die Warteliste setzt“, berichtet Nura Elias. Erst wenn ein Kind wegzöge, könne Samuel aufgenommen werden. Nur war das leider bis jetzt nicht der Fall. Deshalb muss der Junge weiter in seine alte Schule Weushoffstraße gehen, die nun zweieinhalb Kilometer entfernt liegt. „Dafür muss er öffentliche Verkehrsmittel nutzen und dann noch zehn bis 15 Minuten zu Fuß über mehrere Kreuzungen gehen“, sagt die Mutter. Ihr Sohn sei „sehr verträumt“ und achte teilweise nicht auf den Verkehr. Mit dem Auto bringen könnten sie und ihr Mann ihn nicht, weil sie arbeiten.

„Dieser Fall ist absurd und beileibe nicht der einzige“, sagt die SPD-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus. Sie und ihre Bürgerschaftskollegen erreichten zunehmend solche Klagen, obwohl die Schulsenatorin vor zwei Jahren bei Einrichtung der so genannten „Anmeldeverbünde“ versprochen habe, künftig gelte der Elternwille. Auch stehe im aktuellen Schulentwicklungsplan, dass Grundschulen „zu Fuß erreichbar“ sein sollen. Dass dies nicht realisiert werde, liege daran, dass die Planungen der Behörde „auf Kante genäht“ und sehr viele Klassen zu voll seien, sagt Boeddinghaus. Wie berichtet, hatten zu Beginn des vorigen Schuljahrs gar 60 Klassen 30 Kinder und somit keine Aufnahmekapazität.

Bildungsbehördensprecher Alexander Luckow spricht dagegen von einem „superspeziellen Einzelfall“, aus dem Boeddinghaus nun versuche, ein „generelles Problem“ zu konstruieren. Die Schulleitung habe der Behörde mitgeteilt, dass sie den Jungen nicht aufnehmen könne, weil sie sonst 31 oder 32 Kinder in den Klassen hätte. Luckow: „Hier haben wir eine objektive Realität“. Dass Samuel ein Einzelfall sei merke die Behörde daran, „dass solche Fälle nur selten an uns herangetragen werden“.

Boeddinghaus will die Sache nicht auf sich ruhen lassen und hat eine Anfrage gestellt, in der sie für jedes Kind im Harburger Kern nach Grundschule und Wohnort fragt. Denn sie wisse von einer Gruppe von Eltern, der es gelungen sei, ihre Kinder für die erste Klasse der Alten Forst einzuschulen, obwohl sie in Fußwegnähe zur Weusthoffstraße wohnen. „Es gibt auf diese Schule einen Run“, sagt die Politikerin, das sei in Ordnung. „Aber es scheint so zu sein, dass nur gewisse Eltern, die das Wissen dazu haben, sich durchsetzen, und andere wie die Familie Elias eben nicht“. KAIJA KUTTER