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Archiv-Artikel

Und das war auch gut so

ABSCHIED Klaus Wowereit tritt kommenden Donnerstag von seinem Amt als Regierender Bürgermeister zurück. Eine Ära geht zu Ende. Welche Spuren hinterlässt er nach 13 Dienstjahren? Wie sind seine Taten und Worte einzuordnen? War er einer der großen Regierenden Bürgermeister Berlins wie einst Ernst Reuter und Willy Brandt? Fragen über Fragen. Die taz gibt Antworten

Die Machtübergabe

■ Er hatte tatsächlich eine Träne im Auge: Am 26. August kündigte Klaus Wowereit seinen Rücktritt vom Amt des Regierenden Bürgermeisters an: für den 11. Dezember.

■ Für die SPD, stärkste Partei im Abgeordnetenhaus, hieß das auch, dass sie die Nachfolgerfrage klären musste. Ein Entscheid, an dem sich zwei Drittel der 17.000 Berliner SPD-Mitglieder beteiligten, führte Mitte Oktober zu einem erstaunlich deutlichen Ergebnis: Stadtentwicklungssenator Michael Müller erhielt im ersten Wahlgang fast 60 Prozent; seine Konkurrenten – Landeschef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh – jeweils rund 20 Prozent.

■ Am Donnerstag wird Müller im Abgeordnetenhaus aller Voraussicht nach mit den Stimmen der SPD-CDU-Koalition zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt. (bis)

VON MICHAEL SONTHEIMER

Der 15. Januar 1981 war ein elend-grauer Wintertag in Westberlin, doch im Abgeordnetenhaus im Rathaus Schöneberg ging es höchst unterhaltsam zu. Der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe von der SPD kämpfte um sein politisches Überleben. Vier Wochen zuvor war der Star-Architekt Dietrich Garski spurlos verschwunden und hatte geplatzte Landesbürgschaften von über 100 Millionen Mark hinterlassen. Westberlin, dein Sumpf.

Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, die beiden Ur-Kommunarden, geißelten den Senat lautstark als korrupt, bis Saaldiener sie von den Zuschauerbänken vor die Türe zerrten. Dietrich Stobbe wollte fünf Senatoren neu wählen lassen, doch vier fielen durch. Er trat schließlich doch zurück.

Nur: Wer kann sich heute noch an Dietrich Stobbe erinnern? Einen steifen Langweiler, der dennoch nach seinem Amtsantritt wegen seines jugendlichen Alters von Mauerstadtjournalisten als „Kennedy von der Spree“ gefeiert wurde.

Berlin und seine Regiermeister: Im zweiten Stock des Roten Rathauses, wo die Abteilung Presse, Information und Medien der Senatskanzlei residiert, findet sich im Flur eine Galerie von Porträts der Regierenden Bürgermeister. Zehn Sozialdemokraten, drei Christdemokraten: 13 Kohlezeichnungen. Ein inzwischen verstorbener Senatsangestellter namens Rolf Dübner hat sie 2005 nach Fotos gefertigt.

Der Reigen der Regierenden beginnt mit Luise Schröder, der einzigen Frau. Es folgt Ernst Reuter; Willy Brandt ist natürlich dabei, Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen und so weiter. Das Konterfei von Klaus Wowereit hängt am Ende des Flures, gleich neben der Damentoilette.

In den Tagen, in denen Klaus Wowereit sich aus dem Roten Rathaus verabschiedet, stellt sich die Frage, wo und wie er in dieser Galerie einzuordnen ist. Welchen Platz wird Wowi im kollektiven Gedächtnis der Stadt einnehmen? Wird er als einer der Großen erinnert werden? Was wird von ihm bleiben?

Manche von Wowereits Vorgängern regierten zu kurz, um nennenswerte Spuren zu hinterlassen, so wie der SPD-Mann Hans-Jochen Vogel mit sechs Monaten, sein Parteigenosse Heinrich Albertz mit zehn Monaten oder auch Walter Momper mit knapp zwei Jahren. Otto Suhr mit nicht viel mehr.

Wowereit kann mit über 13 Jahren auf die längste durchgängige Zeit als Regierender verweisen, aber die Amtszeit ist nicht alles. Sein Vorgänger Eberhard Diepgen kam in zwei Perioden auf insgesamt über 17 Jahre, ist aber nur als blasser Verwalter mit korrupten Parteifreunden in Erinnerung.

Den größten Teil des Politikerberufs macht das Reden aus. Wobei Politiker und ihre Redenschreiber sich durchaus bemühen, originelle und prägnante Formulieren zu finden; Formulierungen, die als geflügelte Worte überleben.

Drei Zitate bleiben

Von Wowereit werden drei Zitate in Erinnerung bleiben, und das ist eine ganze Menge. Oder erinnert man sich noch an einprägsame Sätze des hochgelobten Richard von Weizsäcker aus seiner Zeit als Regierender Bürgermeister? Für Weizsäcker war das Amt eine Durchgangsstation auf dem Weg ins Bundespräsidialamt, wo der Adelsspross zu sich selbst fand. In seinen weniger als vier Jahren als Regierender ließ er Eberhard Diepgen, Klaus-Rüdiger Landowsky und ihren Freunden aus der Bauwirtschaft bei ihren filzigen Geschäften freie Hand.

Klaus Wowereit formulierte sechs Tage vor seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister spontan den Satz, den er später als „bekanntesten meines Lebens“ bezeichnete. Am 10. Juni 2001 erklärte auf einem Sonderparteitag der Berliner SPD: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Damit war er der erste deutsche Spitzenpolitiker, der sich selbst als homosexuell outete.

In der zur Libertinage neigenden Stadt brachte ihm das Sympathien ein. Er wurde in jede denkbare Talkshow eingeladen, sein Bekenntnis schlug weltweit Wellen.

Wowereit hatte schon vor seiner Wahl von einem nötigen „Mentalitätswechsel“ gesprochen. Die Politiker, aber auch die Berliner, meinte er, müssten das bequeme Leben auf Pump, das ewige Kassieren von Subventionen beenden. Über seinen Vorgänger spottete er später: „Eberhard Diepgen hatte den Ehrgeiz, sozialdemokratischer als die SPD sein zu wollen.“

Die SPD war allerdings keinesfalls unbeteiligt gewesen am Marsch in die Schuldenfalle, den der Senat nach dem Fall der Mauer angetreten hatte. In der Großen Koalition wollten auch die Sozis nicht die enormen Personalkosten reduzieren, die sich das einnahmenschwache Land Berlin nicht leisten konnte.

Wowereit gab die Parole „Sparen bis es quietscht“ aus, sein zweiter Satz, der in Erinnerung bleiben wird. Dafür holte er sich einen neurotischen, tendenziell autistischen Bahnmanager namens Thilo Sarrazin als Finanzsenator. Der machte sich ziemlich humorlos, aber ernsthaft daran, den Berliner Haushalt zu konsolidieren.

„Arm, aber sexy“

Wowereits dritter Satz, der in Erinnerungen bleiben wird, fiel in einem Interview mit Focus Money im November 2003: „Berlin ist arm, aber sexy“, sagte er da.

Diese Aussage kann kaum überschätzt werden, denn sie war die richtige Antwort auf die fatale Fehleinschätzung mit der Eberhard Diepgen und seine Große Koalition die Stadt in die falsche Richtung gelenkt hatte. Bis dahin hatten die Berliner Politiker an einer Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn gelitten. Sie hatten mit Milliarden öffentlicher Mittel große Siedlungen bauen lassen, obwohl die Bevölkerung abnahm. Sie versuchten dilettantisch eine Olympiade in die Stadt zu holen, die die Berlinerinnen und Berliner nicht wollten.

Wowereit ist nicht zufällig im Juni 2001 Regierender geworden, aber der Architekt des Machtwechsels war nicht so sehr er, sondern Peter Strieder, damals der starke Mann des linken Flügels der Berliner SPD. Doch als die beiden beim Bundeskanzler und SPD-Bundesvorsitzenden Gerhard Schröder vorbeischauten, um sich beraten zu lassen, sagte der zur Frage der Spitzenkandidatur: „Ist doch klar. Das macht der Klaus.“

Als die SPD und die Grünen bei den Neuwahlen am 21. Oktober 2001 keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus erreichten, kam das Wowereit entgegen. Vielleicht wegen der eigenen bescheidenen Herkunft waren ihm besserwisserische Mittelschichtskinder der Grünen ein Gräuel. Umgekehrt kam er aus Lichtenrade, dem letzten Ende von Tempelhof – für Kreuzberger, Schöneberger und andere Innenstadtbewohner ein hoffnungslos uncooler Teil der Stadt; fast so schlimm wie Reinickendorf oder Spandau.

Rote-Socken-Alarm

Gerhard Schröder favorisierte 2001 in Berlin eine Ampelkoalition der SPD mit FDP und Grünen, doch die avisierten Juniorpartner erwiesen sich als nicht kompatibel. Wowereit entschied sich für das Bündnis mit der PDS. Er tat das in einer Zeit der „Roten-Socken-Kampagnen“ der CDU, in der Exbürgerrechtler und Konservative nicht müde wurden, die Exkommunisten als Kinder der „Zweiten Deutschen Diktatur“ anzugreifen und sie am liebsten unter politischer Quarantäne gehalten hätten.

Zur rot-roten Koalition gehörte Mut, und die Auswirkungen des Bündnisses auf die Stadt waren erheblich. Die Vereinigung der beiden Halbstädte nach dem Fall der Mauer war nicht auf Augenhöhe geschehen, die Westler hatten den Ostteil übernommen, in der Politik und in der Wirtschaft. Die PDS war die einzige Partei in der mit Gregor Gysi ein Ostdeutscher den Vorsitz hatte, sie war die Partei der Ostberliner, das Pendant zur CDU als Partei der Westberliner.

In dieser gespaltenen Stadt war die Aufnahme der PDS in die Regierung der entscheidende Schritt der Integration des Ostens, auf dem Weg zu dem, was in salbungsvollen Reden „innere Einheit“ genannt wurde.

Tourismus als Chance

Den Berlinerinnen und Berlinern kam Wowereit mit seinem, Schwulen oft eigenen Hedonismus, entgegen – mit seiner Lust zu feiern. Westberlin war die einzige Stadt in der Bundesrepublik ohne Sperrstunde gewesen, wo es sich rund rund um die Uhr feiern ließ. Wowereit erkannte, dass der Tourismus eine erhebliche Einnahmequelle der Stadt werden könnte und die Touristen vor allem wegen der Kultur kommen. Und dem Feiern.

Aber Partymachen ermüdet auf die Dauer. Regieren noch mehr. Je länger Wowereit im Amt war, um so autoritärer wurde er, umso ungnädiger sprang er mit seinen Senatoren und Mitarbeitern um. Und er konnte die Lustlosigkeit und Wurstigkeit, die ihn phasenweise ergriff, immer weniger verbergen.

Gleichzeitig wurde auch Berlin langweiliger. Mittlerweile kommen nicht mehr die Wehrdienstflüchtlinge in die Stadt, sondern die Karrieristen. Die Brachen, die realen und symbolischen Freiräume Berlins, verschwinden. Die billigen Wohnungen auch. Migranten und andere Minderverdiener werden aus den Innenstadtbezirken vertrieben. Reiche, die herzlose Langeweile verströmen, eignen sich die Stadt an. Berlin wird ein Opfer seines Erfolges und verwechselbar.

Anders als Willy Brandt und Richard von Weizsäcker hat Wowereit als Regierender das Ende seiner Karriereleiter erreicht. Er schaffte es nicht, sich mit bundespolitischen Themen über die Stadt hinaus zu profilieren. Ihm schienen auch der Tiefgang und Ernst zu fehlen, mit dem er sich als Bundesminister oder SPD-Kanzlerkandidat ernsthaft hätte empfehlen können.

In der Zeit, in der Wowi Regierender war, kehrte weltpolitische Ruhe ein – die Ruhe nach dem Sturm

Bislang sind Ernst Reuter und Willy Brandt diejenigen, die aus der Galerie der Regierenden Bürgermeister herausragen. Reuter, der während der Blockade, im September 1948, bei einer Rede ausrief „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“, der in der Zeit der zunehmenden Spaltung die Leitfigur des „Freiheitskampfs“ war. Brandt, Regierender von 1957 bis 1966, der Westberlin durch die schwierigsten Jahre des Kalten Krieges steuerte, den Mauerbau, das Chruschtschow-Ultimatum und die Kuba-Krise. „Uns Willy“ Brandt ist das Vorbild Wowereits, wie er gerade in der taz einräumte.

Wird Wowereit zum Duo Reuter/Brandt aufschließen?

Ernst Reuter war als junger Mann kurz nach dem Ersten Weltkrieg in der Führung der Kommunistischen Partei für terroristische Anschläge verantwortlich. Er überlebte die Nazijahre im Exil, ebenso wie Willy Brandt, der schon im Spanischen Bürgerkrieg als Illegaler dabei war. Beide wurden von Kommunisten zu Antikommunisten, die Westberlin gegen die Russen verteidigten.

Gegen die Biographien von Brandt und Reuter wirkt das Leben von Wowereit, der Jahrzehnte im mütterlichen Reihenhaus in Lichtenrade wohnte, blass und langweilig. Wowereit hatte das Pech der späten Geburt, das man auch als Glück begreifen kann – und wohl sollte.

Und als Wowereit 2001 Regierender wurde, war die Stadt nicht mehr geteilt, es gab keinen Kalten Krieg mehr, mit Stasi- und CIA-Agenten, mit Schüssen an der Mauer. Berlin hatte eine Überdosis Geschichte abbekommen. In der Zeit, in der Wowi Regierender war, kehrte weltpolitische Ruhe ein, die Ruhe nach dem Sturm.

In welcher Liga gespielt?

In welcher Liga der nun scheidende Regierungschef gespielt hat, wird sich in diesem Fall erst in ein paar Jahren beurteilen lassen. Es hängt von der größten Erblast ab, die er hinterlassen hat: Dem neuen Flughafen in Schönefeld, dem BER, der eigentlich der Höhepunkt dieser dritten vollen Legislaturperiode unter Wowereit werden sollte, und nun nach mehreren verschobenen Eröffnungsterminen, stetig gestiegenen Kosten und unzähligen weiteren Pannen bundesweit zum Sinnbild des Berliner Politikversagens geworden ist.

Der einstige britische Premier Tony Blair ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein erfolgreicher und beliebter Politiker mit einem einzigen großen Fehler seinen Ruf auf ewig ruinieren kann: Blair beging den Fehler, zusammen mit den USA den Irak mit einer erlogenen Begründung anzugreifen.

Persönliches Debakel BER

Wowereits Irakkrieg heißt BER. Die Schönefelder Fata Morgana soll fertig gebaut werden, aber niemand weiß, wie viele Milliarden das die Stadt noch kosten wird. Und wann er eröffnet werden wird.

Mit einigen Westberliner Traditionen hat Wowereit gebrochen, aber der zu entspannte Umgang mit Steuergeldern bei öffentlichen Bauprojekten gehört nicht dazu. Er ist eben doch ein Kind der Subventionopolis, der alimentierten Mauerstadt.

■ Michael Sontheimer, 59, war Mitgründer der taz, später ihres Berlin-Teils und schreibt seit 19 Jahren für das Magazin Der Spiegel.