: Verdammt jung
DFB-ELF Beim 3:2 gegen Brasilien präsentiert sich eine neue Fußballergeneration, die Kreativität, Unbekümmertheit und Tatendrang einzig und allein auf dem Platz auslebt
AUS STUTTGART JÜRGEN LÖHLE
Es ging auf Mitternacht zu, als Joachim Löw umrahmt von seinen Spielern Andre Schürrle und Mario Götze in den Katakomben des neuen Stuttgarter Stadions Platz nahm. Der Bundestrainer (51) suchte wie immer ein wenig bedächtig nach den passenden Worten. Die Jungfüchse Andre Schürrle (20) und Mario Götze (19), die locker seine Söhne sein könnten, hörten ganz genau zu. Es war gar nicht so einfach für Löw. Sollte er die beiden Torschützen beim 3:2-Sieg gegen Brasilien – vor allem Götze – in den Himmel loben? Götze war schließlich spielerisch der einzig wahre Brasilianer an diesem Abend. Verdient hätten das beide allemal, aber zu viel Schulterklopfen widerspricht der Philosophie des Südbadeners Löw, nach der alles eine Entwicklung ist, die immer Luft nach oben hat, ja, haben muss. Aber mit einem „Gut so“, ging das auch nicht, also sagte der Bundestrainer: „Mario hat sich gut entwickelt und klasse mitgespielt.“
Mitgespielt. Der gebürtige Allgäuer vom Deutschen Meister Borussia Dortmund hat seinen pfeilschnellen Instinktfußball zelebriert, als sei es das Normalste auf der Welt. Dabei war die Partie gegen Brasilien sein erstes Länderspiel von Beginn an. Und was für eines: Das Geschehen im Blick, meist den richtigen, schnellen Pass und ein Traumtor zum 2:0, bei dem er Brasiliens Keeper Julio Cesar ausspielte, als wäre der gar nicht da. Das war mehr als mitgespielt, aber Joachim Löw tut natürlich gut daran, immer auch wenig auf die Euphoriebremse zu treten. Denn Brasilien zeigte nicht die Brillanz, die die Auswahl seit dem 1:2 in einem Testspiel 1993 nicht mehr gegen Deutschland hat verlieren lassen. Trotzdem war Brasilien eine Klassemannschaft. Sie hat nur nicht als solche gespielt, sondern eher als Ensemble aus Einzelkickern – zumindest in der Offensive.
Und das reichte einfach nicht gegen Deutschlands Boy Group, bei der viele von 25 Jahren ebenso weit entfernt sind wie von 17. Die Startformation in der ausverkauften Arena hatte ein Durchschnittsalter von 23,5 Jahren. Das Spiel in Stuttgart hätte ja eigentlich Michael Ballacks Abschied sein sollen, der bald 35-jährige Leverkusener hätte in der Mannschaft aber gewirkt, wie der nette ältere Herr, der noch mal mitkicken darf. Das Spiel gegen Brasilien war auch der Beweis, dass Löws Entscheidung gegen den Capitano richtig war, trotz aller Verdienste Ballacks. Aber seine Zeit ist einfach vorbei, Deutschlands Fußballgegenwart ist jung. Verdammt jung. Kapitän Philipp Lahm war mit 27 Lenzen der Älteste in der Startformation. Dabei standen die bei Löw bereits fest etablierten Madrider Jungstars Mesut Özil (22) und Sami Khedira (24) wegen Verpflichtungen bei Real nicht mal im Kader. In dieser Mannschaft wirkte der zur Pause eingewechselte Stürmer Miroslav Klose (33) ein wenig wie gelebte Vergangenheit.
Und die Jungen geben sich auf dem Platz und vor allem daneben abgeklärt, als hätten sie so etwas wie die Flegeljahre einfach übersprungen oder davon nur in der Bravo gelesen. Es gab ja mal eine Zeit, als deutsche Nationalkicker nächtelang um Geld kartelten, Trainingslager heimlich zu Kneipenbesuchen verließen oder angetrunken fette Zigarren rauchten. Mario Götze wirkt so gar nicht so. Nach der Meisterschaft mit Dortmund „habe ich mir zwei Wochen gegönnt“, sagte er. Das war es dann auch. Ruhig und wohlüberlegt antwortet er auf alle Fragen, als käme er gerade von einem Seminar für Manager. Wer sorgt dafür, dass sie nicht abheben? „Meine Familie.“ Wie war das Spiel für sie? „Ein großartiges Erlebnis.“ Punkt, weiter, am Samstag ist wieder Bundesliga. Schürrle, Toni Kroos (21), Christian Träsch (23), Mats Hummels (22), Holger Badstuber (22) oder Thomas Müller (21) hätten wahrscheinlich ganz ähnlich geantwortet.
Eine glänzende Perspektive für den Bundestrainer. Blutjunge Leute, die offenbar voll auf den Fußballsport fokussiert sind und ihre jugendliche Kreativität, Unbekümmertheit und ihren Tatendrang ohne Selbstinszenierung auf dem Platz ausleben und nicht daneben. „Diese Mannschaft war uns in allen Belangen überlegen“, lobte Mano Menezes, Trainer der Fußballsupermacht Brasilien. Joachim Löw hat es gern ein bisschen kleiner. „Die Entwicklung ist gut“, sagt er. Und jung.