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Archiv-Artikel

die taz vor 15 jahren über den tod von heinz galinski, Vorsitzender des zentralrats der juden

Nein, wir waren keine Freunde, und es wäre unehrlich, so zu tun als ob. Er war diktatorisch, aufbrausend, politischen Gegnern gegenüber unversöhnlich, bis er sie entweder kleingekriegt oder vertrieben hatte. Überlebt hat er sie fast alle. Ein Mann mit unbezähmbarem Überlebensinstinkt, auch politisch; aus hartem Holz, ein Graduierter von Auschwitz – der Welt tiefster Erniedrigung, die wir nie wirklich verstehen werden, weshalb uns vielleicht manches an ihm unverständlich blieb.

Er hat der Sache selbst voll gedient. Er ist unkorrumpierbar geblieben, hat sich von keiner Seite kaufen lassen – was für jüdische Sprecher in Deutschland nach Hitler fast unmöglich war, waren doch die Versuchungen gar zu groß. Galinski blieb eisern seinen Überzeugungen und den Juden der Gemeinde in Berlin, die er jahrzehntelang geführt hat, treu. So, wie er sie für sich definierte hatte. Dies bedeutete freilich auch: als betont loyale „deutsche“ Juden. Nach 1945 sah er sich in Berlin mit einem zusammengewürfelten Haufen von Juden konfrontiert: deutschen Juden, Juden aus dem Osten, displaced persons, lebende Ruinen zumeist, aus den Lagern, Pogromen entkommen. Er war konfrontiert mit Zionisten und Antizionisten, Atheisten und Orthodoxen; Juden, die allzu schnell vergessen wollten, und solchen, die nicht mehr vergessen konnten. Inmitten dieser Heterogenität konnte das Judentum kein assimilierend-patriotisches, deutsches Judentum mehr sein. Galinski wollte zwischen diesen verschiedenen Orientierungen vermitteln und eine jüdischen Konsens finden, der ihm über alles ging. Die Berliner Gemeinde wurde eine Einheitsgemeinde, die in prekärer Balance orthodoxe und liberale Elemente enthält. Dies ist zweifellos Galinskis große Leistung. Doch die bittere Ironie ist, daß gerade die zähe Festschreibung der Einheit die Zerwürfnisse gebracht hat. Galinski war stets schnell dabei, die mißliebige Personen oder Gruppen aus der Gemeinde zu verbannen. Michal Bodemann, 21. 7. 1992