: Mehr Ermittler im Netz
STRAFVERFOLGUNG Niedersachsens Polizei und Staatsanwaltschaften bauen Sonderabteilungen auf, um die zunehmende Internetkriminalität zu bekämpfen. Alltäglich sind vor allem Betrug und Fälschungsdelikte
Das niedersächsische Innenministerium verbreitet folgende Zahlen zu Straftaten im Netz:
■ Um 5,27 auf 8,29 Prozent gestiegen ist der Anteil von Internet- an der Gesamtkriminalität in Niedersachsen gegenüber 2009.
■ In 48.275 Fällen wurden Verbrechen mit dem Tatmittel Internet begangen (plus 17.166 Fälle).
■ Vermögens- und Fälschungsdelikte stellen den Großteil der Internetkriminalität dar. Zugenommen hat in den letzten Jahren das Ausspähen und Abfangen von Daten.
VON DENNIS BÜHLER
Sie fordern Verbote, mehr Überwachung oder gleich einen Ausknopf – wenn konservative Innenpolitiker oder Polizeigewerkschafter zu Gefahren des Internets Stellung nehmen, gibt es schnell drastische Forderungen. In Niedersachsen haben Justiz- und Innenministerium jetzt die konkreten Maßnahmen verstärkt: Im Polizeistab schaffen sie 42 neue Dienststellen, die sich ausschließlich der Bekämpfung der Internetkriminalität widmen. In Celle schafft das Justizministerium eine zentrale Stelle gegen Internetkriminalität, die alle Anstrengungen der Staatsanwaltschaft koordinieren soll.
„Ein Großteil von früherer Alltagskriminalität hat sich ins Internet verlagert“, sagt Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Betrügereien liefen heute über Ebay, Beleidigungen würden insozialen Netzwerken ausgetauscht. Und auch der frühere Bankraub sei mittlerweile viel seltener. Letzteres hat auch Georg Weißling beobachtet, der Sprecher des Justizministeriums: „Wer geht denn heutzutage noch mit einer Pistole in die Bank? Es ist viel einfacher und risikoloser, über das Internet ganze Bankkonten zu plündern.“
Fast 50.000 Fälle von Cyber-Kriminalität sind im Jahr 2010 allein in Niedersachsen aufgetreten, die Schadenssumme betrug 32,5 Millionen Euro. Die weitaus häufigsten Straftaten waren Vermögens- und Fälschungsdelikte. Internet-Experten führen die höheren Verbrechensraten in erster Linie darauf zurück, dass heute jeder über einen Internetzugang verfügt. „Viele Internetnutzer gehen äußerst unbedarft vor“, sagt Netzaktivist Markus Beckedahl, der den Blog netzpolitik.org gegründet hat. „Wer jeden Link anklickt, ohne zu bedenken, dass ein Trojaner dahinterstecken könnte, macht es den Betrügern leicht.“ In der Bekämpfung von Internetkriminalität vermisst Beckedahl eine bundesweit koordinierte Vorgehensweise. „In einigen Bundesländern gibt es spezialisierte Einheiten, in anderen verfügen die Polizisten nicht einmal über Internetzugänge.“
Axel Kossel, Redakteur der Computer-Fachzeitschrift c‘t mit Sitz in Hannover, findet die Bemühungen der niedersächsischen Regierung grundsätzlich richtig: „Der Versuch, geltendes Recht auch im Internet durchzusetzen, ist allemal besser, als neue Gesetze zu fordern, um kurzerhand alles zu verbieten.“ Niedersachsen habe nun medienwirksam eine Schippe draufgelegt, im Vergleich zu anderen Bundesländern sei es aber schon zuvor relativ gut aufgestellt gewesen – auch wenn die zuständigen Abteilungen bisher zu klein gewesen seien. „Denn das Internet ist groß und flächendeckend gar nicht zu kontrollieren.“
Nun müssten den Versprechungen aber auch Taten folgen, fordert Kossel. Wichtig sei vor allem, dass die Beamten eine gute technische Ausrüstung erhielten und im Umgang damit geschult würden. „Es reicht nicht, 40 Leute hinzusetzen, die dann auf der Suche nach Verbrechen einfach den ganzen Tag im Internet surfen.“ Oberstaatsanwalt Fröhlich hält diese Gefahr für gering. „Wir haben schon jetzt hervorragende Spezialisten in unseren Reihen“, sagt er. „Die können es mit jedem Technikfreak aufnehmen.“
In Fernsehberichten und Artikeln taucht die Internetkriminalität meist im Zusammenhang mit Kinderpornografie auf. Tatsächlich aber erfüllt nur ein Bruchteil der Verbrechen diesen Tatbestand. „Kinderpornografie wird gerne ein Milliardenmarkt angedichtet“, sagt Netzaktivist Beckedahl. Journalist Kossel weiß weshalb: „Kaum ein Verbrechen ist so medienwirksam wie Kinderpornografie. Jeder Politiker zeigt sich hier gerne als erfolgreicher Jäger.“ Im Grunde sei die starke Verbreitung des Internets für die Verfolgung von Kinderpornografie aber sogar eher von Vorteil, sagt Kossel. „Jetzt können Verbindungen zwischen Tätern aufgedeckt werden. Früher schickten sie sich braune, unauffällige Umschläge mit Videokassetten zu.“