DIE JOBSUCHE IN DEUTSCHLAND IST SCHWIERIG, WENN MAN FAST NICHTS KANN AUSSER SCHREIBEN : Die Mittenwalter Geige von 1779
VON MIGUEL SZYMANSKI
Eine Arbeit in Deutschland zu finden, von der eine vierköpfige Familie leben kann, ist keine leichte Sache. Meine Frau ist Journalistin und muss erst noch Deutsch lernen, bevor sie hier irgendwas machen kann. Im Integrationskurs in der Volkshochschule lernt sie, wie sie sich als Putzhilfe und Kassiererin bewirbt. Und dass die Kinder im Treppenhaus nicht laut sein dürfen.
Ich habe mich im vergangenen Jahr überall in Deutschland beworben. Die Jobsuche ist schwierig, wenn man außer Schreiben fast nichts kann, in Portugal lebt und sich aus dem Ausland bewerben muss. In Bremerhaven war ich für die Stelle eines Pressesprechers der Wunschkandidat der Direktorin des Schifffahrtsmuseums. Die Professorin, die das Museum leitet, rief an und sagte: „Bereiten Sie sich auf den Umzug vor.“ Das tat ich – bis die Frauenbeauftragte herausfand, dass ich ein Mann bin. „Ich werde die Stelle neu ausschreiben lassen“, sagte die Museumsdirektorin: „Ich melde mich bei Ihnen.“
Hätte ich darauf gewartet, säße ich heute noch im Strandcafé an der Südküste Portugals. In Konstanz bewarb ich mich in einem Unternehmen, das weltweit antike Geigen verkauft. Ich musste eine Probe bestehen: zwei Seiten über eine Mittenwalder Violine von 1779 schreiben. Ein Cello erkenne ich problemlos. Aber eine Geige von einer Bratsche zu unterscheiden übersteigt meine instrumentalen Kenntnisse. Irgendwie gelang es mir aber doch. Die Geschäftsführerin rief an und fragte nach meiner Gehaltsvorstellung. Ich war an der Algarve, schaute durchs Fenster auf den Atlantik und hatte keine Ahnung, wie viel Geld eine Kleinfamilie in Deutschland braucht. 2.000 Euro pro Monat, sagte ich. „Nein, das zahlen wir nicht. Für 1.500 Euro kriege ich einen promovierten Kunsthistoriker“, sagte sie.
Acht Monate dauerte mein Marathon als Lebensläufer um einen Job in Deutschland. Dann klappte es: Ich fand eine Stelle als Agenturredakteur in Schwaben. Die fleißigen Schwaben, dachte ich: Das würde hart werden für einen faulen Südländer (mein deutscher Urgroßvater ist 1913 aus Schwaben nach Portugal ausgewandert, 100 Jahre später machte ich dasselbe, aus ähnlichen Gründen, in die Gegenrichtung). Leider hatte die Agentur kaum Aufträge. In einer durchschnittlichen Arbeitswoche schrieb ich zehn bis fünfzehn Zeilen. Ironie des Schicksals: Ich Südeuropäer habe in meinem ganzen Leben nie so wenig gearbeitet wie in Schwaben.
„Kein schöner’ Land“ ist anders geworden in den 25 Jahren, die ich im Süden war und das Deutschsein verlernt hatte. Für die meisten Menschen ist Deutschland heute ein Niedriglohnland. Die ersten Portugiesen, die ich in Deutschland traf, putzen das Treppenhaus in der Grundschule meiner Tochter. „Wir stehen jeden Morgen um halb vier auf und arbeiten für eine Putzfirma“, erzählen sie. Dann putzen sie privat Büros bis 23 Uhr.
Sie und ich sind Teil der größten Auswanderungswelle aller Zeiten von der Iberischen Halbinsel. Die meisten wandern aus, um ihre Schulden zu bezahlen: Immobilienkredite, die von deutschen Banken finanziert wurden.
Das Nichtstun in Schwaben war eine Qual. Zwei Monate nach Ende der Probezeit reichte ich die Kündigung ein. Jetzt bin ich wieder an der Algarve. Nicht mehr auf Jobsuche, sondern im dreiwöchigen Urlaub eines inzwischen in Frankfurt erfolgreichen Autors und Journalisten. Ich versuche, meinen Frieden mit Deutschland zu schließen. Gestern war ich mit meinen beiden Töchtern im Atlantik schwimmen. Heute Morgen haben wir hinter dem Haus Orangen für das Frühstück gepflückt, große, süße Baia-Orangen. Bis weit in den Januar hinein soll es sonnig bleiben, die Temperaturen um die 18 Grad. Wer verlässt so ein Land freiwillig?