: Narzissmus
Die Spitze der Landes-SPD möchte das Thema Stuttgart 21 so bald wie möglich vom Tisch haben. Die parteiinternen Gegner des Bahnprojekts protestieren. Der Stuttgarter Kreisvorsitzende nennt die Haltung der Parteivorderen „überheblich und respektlos“
Vasallentreue Das Verhalten des Führungspersonals der SPD in Baden-Württemberg ist nur so lange unbegreiflich, wie man nicht realisiert, dass sie schon lange tief mit drin im schwarzen Filz hängt. Für die gewöhnlichen Parteimitglieder könnte das gerade angesichts der Vorgänge um Stuttgart 21 zu Zweifeln und einem unguten Gefühl führen, macht es aber erstaunlich selten. Was daran liegt, dass gerade in dieser Partei die unhinterfragte Vasallentreue zur Führung und das Festhalten an alten Klischees, die schon längst nicht mehr stimmen, besonders ausgeprägt ist. Wer in der SPD hat schon wirklich verstanden, dass sie von einer neoliberalen Clique unter Schröder übernommen wurde, und das, was die Partei mal ausgemacht hat, nur noch als Selbstbetrug existiert. So ist die Trägheit an der Parteibasis nichts Neues, dennoch gerade hier in Stuttgart für die Allgemeinheit, die das dann letztendlich mit dem sturen Festhalten an Fehlentscheidungen ausbaden darf, fatal. AufrechterGang
Vom Acker Ich bin seit 1992 Mitglied in der SPD und stimme Dejan in nahezu allem zu. Nur der letzte Satz stößt mir bitter auf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Peter Friedrich und Carsten Gilbert auf Landesparteitagen Stimmung für Ulrich Maurer machten, um ihn zum SPD-Landes-Chef zu küren. Maurer ist kein Linker, eher ein Witz, quasi mitschuldig an der Misere der heutigen SPD. Er hat die Partei zugrunde gerichtet und sich dann vom Acker gemacht. Wer heute meint, er sei links in der SPD Ba-Wü und nach Maurer ruft, hat einen an der Waffel. TamaraBazan
von Josef-Otto Freudenreich
Der Himbeerkuchen war gerichtet, der Gastgeber im Pulli mild wie der Kaffee, den es in der Stuttgarter SPD-Zentrale gibt, und so war alles bereit für ein Gespräch unter Freunden. Hatte sich Klaus Riedel gedacht. Sein Vorsitzender, Genosse Nils Schmid, versprach ihm, keine S-21-Kampagne zu fahren und sich mit einer schlichten Broschüre zur Volksabstimmung zu begnügen. Wenige Tage später stand der Fraktionschef, Genosse Claus Schmiedel, im Stuttgarter Rathaus mit den CDU-Größen Thomas Strobl und Peter Hauk zusammen, streng geheim, um dort ein gemeinsames Aktionsbündnis für S 21 vorzustellen. Den Segen Gottes hatte Schmiedel schon vorher herbeigerufen.
Jetzt kann Riedel, der Anführer der sozialdemokratischen Gegner, darüber nachdenken, was ihm da passiert ist. Entweder hat ihn Schmid, um es nett zu sagen, an der Nase herumgeführt, oder Schmid hat einen Schmiedel, der macht, was er will. Riedel hat darüber nachgedacht und ist zum Ergebnis gekommen, dass er „getäuscht“ wurde. Im Falle Schmid hat‘s ihn geschmerzt, weil er dem Nils geglaubt hat; im Falle Schmiedel hat’s ihn empört, weil der einen Bund mit der CDU und der Wirtschaft schmieden will. Eine Koalition mit dem Kapital für eine S-21-Kampagne, das mag einem aufrechten Sozi nicht in den Kopf. „Die Politik ist damit am Ende“, klagt Riedel, „sie macht sich abhängig von reinen Kapitalinteressen.“ Er hätte auch von einer SPD-Politik reden können.
Nüchtern betrachtet ist das nicht wirklich überraschend. Persönlich und politisch. Der frühere Berufsschullehrer Schmiedel (60) ist durch seinen Hauptberuf zur öffentlichen Person geworden. Die Schlagzeilen pflegen Ego und Narzissmus, die Aussicht auf Spatenstiche und Einweihungen, zusammen mit anderen Bedeutungsträgern, welcher Couleur auch immer, verlangt nach immer mehr. Und im Hintergrund feuert Wolfgang Drexler (65), der ehemalige Sprecher von Stuttgart 21, an, Schmiedels Alter Ego.
Schmiedel und Drexler: politische Zwillinge
Beide lieben die Brechstange, beiden ist die Partei ziemlich wurscht, beide berauschen sich an der One-Man-Show. Mit dem einen Unterschied, dass Drexler ein Has-Been ist und Schmiedel der einstimmig gekürte König der Fraktion. Als zweiter Landtagsvizepräsident und gescheiterter Mister S 21 ist Drexler kein Hauptdarsteller mehr, da bleibt nur der Souffleurkasten, aus dem der Text kommt.
Auch politisch gehen die beiden als Zwillinge durch. Rechte Sozialdemokraten, typische Vertreter einer Infrastrukturpartei, die sich dem Kapital nahe fühlen und damit auf Wachstum, Fortschritt und Großprojekte gepolt sind. Soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit, einstige Grundwerte der SPD – im Arbeitsministerium etwa suchen sie bei den beiden vergebens. Schmiedels Programm ist schlichter: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Und da liegt es für ihn nahe, für die S-Klasse als Dienstwagen zu kämpfen, gilt es doch heimische Unternehmen zu unterstützen. Der besseren Vermittelbarkeit halber ist es von Drexler aus gesehen auch pfiffig, Vorsitzender des SWR-Verwaltungsrats werden zu wollen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Und dazwischen sitzt Nils Schmid, der ohne die beiden nicht geworden wäre, was er ist. Superminister, Vizeministerpräsident, Parteichef. Persönlich ist er das Gegenmodell. Kühl, rational, im Kopf gut sortiert, was man angesichts seines Papierwusts auf dem Schreibtisch gar nicht glauben möchte.
Der 38-jährige Jurist würde sich nie mit Herzblut in die S-21-Debatte werfen, er wägt nur ab, was ihm nützt oder schadet. Zumindest momentan, so das taktische Kalkül, würde ihm die Konfrontation mit Schmiedel schaden. Ihn braucht er als Chef der Fraktion, die sich offensichtlich noch nie gefragt hat, warum die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis ever eingefahren hat, aber bedingungslos folgt. Und deshalb bremst Schmid seinen Schmiedel nicht, der sich ohnehin für den besseren Superminister hält.
Vor den Kritikern im Landesvorstand muss er sich nicht fürchten, zumal es erkennbar nur zwei sind. Die Linke Hilde Mattheis, die als Verschwörungstheoretikerin abgehakt wird, und die Verdi-Vorsitzende Leni Breymaier, die sich eher um den Mindestlohn als um den Bahnhof kümmert. Mehr als die Aussage, er sei ein blutarmer Bursche, der sich gemacht habe, ist ihr über Schmid nicht zu entlocken. Sonst lobt sie lieber seine Hinwendung zu den Gewerkschaften, deren Anliegen er ernst nehme, und insbesondere seinen stark verbesserten öffentlichen Auftritt.
Früher, erinnert sich Breymaier, habe sie sich bei Schmid eher im Oberseminar gewähnt und gegen den Schlaf gekämpft. In der Tat, heute sagt der Vize-MP schon mal, er habe „Benzin im Blut“. Kenner der Szene führen diesen Wandel auf einen nahestehenden Berater zurück: Stefan Schaible. Der 1968 geborene Jurist kennt Schmid aus alten Jusozeiten und ist heute Manager bei Roland Berger, wo er „stark inhaltsgetriebene Kommunikationsstrategien für Spitzenpolitiker“ erarbeitet.
Worin der inhaltliche Kern besteht, vermögen selbst Vertraute nicht zu sagen. Als Koordinate werden die „Netzwerker“ genannt, jener Karriereclub junger Sozialdemokraten, den einst Ute Vogt 1998 mit aus der Taufe gehoben hat. Ideologisch nicht festgelegt, wollten sie ihren Platz zwischen dem rechten Seeheimer Kreis und der Parlamentarischen Linken finden, gefördert von Gerhard Schröder, und damit ihre Aufstiegschancen in der Partei verbessern. Das hat nur kurze Zeit geklappt, mit dem Abgang des Agenda-Kanzlers war auch die Bedeutung der schröderschen Truppe dahin. Ute Vogt, Hans Martin Bury, Siegmar Mosdorf – die Sterne waren verglüht.
Nun sollen sie wieder leuchten. Mit dem Netzwerker Nils Schmid. Personell tut er einiges dafür. Generalsekretär Peter Friedrich (39) ist sein Mann in Berlin. Daniel Rousta (37), Schmids Wahlkampfmanager und Geschäftsführer von „Netzwerk Berlin“, ist sein neuer Ministerialdirektor. Sein Büroleiter Carsten Gilbert (40) wird dem Zirkel ebenso zugerechnet wie sein Sprecher Daniel Abbou (40), der sein Handwerk beim SWR in Heilbronn gelernt hat. Was die Enddreißiger eint, ist der Wille zur Macht, der Spaß an der Position, die Abwesenheit von Grundhaltungen und die Absicht, das lästige Thema Stuttgart 21 so schnell wie möglich abzuräumen, damit ihre Regierungskunst endlich das Licht der Welt erblickt. Nils Schmid will den Dauerbrenner „am Ende des Jahres“ vom Tisch haben.
Mancher in der SPD sehnt sich nach Uli Maurer
Das wird so einfach nicht werden, selbst wenn die SPD-Spitze die Diskussion darüber in den eigenen Reihen zu verhindern versucht, wo immer es geht. Einer, der sich jetzt dagegen stemmt, ist der Stuttgarter Kreisvorsitzende Dejan Perc. In der Kontext:Wochenzeitung redet er zum ersten Mal Klartext. Der 35-jährige Kommunikationswissenschaftler versteht nicht, warum seine Oberen nur müde abwinken, wenn Erhard Eppler, Dieter Spöri, Hilde Mattheis, Peter Conradi, Klaus Riedel die Betonfraktion kritisieren. Wenn die Austritte und Proteste der Mitglieder nicht zur Kenntnis genommen werden. Wenn die Wirklichkeit verdrängt wird, wie Riedel glaubt. Perc findet die „Blockade unbegreiflich“ und versieht sie mit den Attributen „überheblich, arrogant und respektlos“ gegenüber der Basis, bei der nur noch das „Gefühl der Ohnmacht“ zurückbleibe.
Stattdessen lasse man einen Schmiedel los, der mit seinen „unglaublichen Auftritten“ der Partei schade, den „Bahnhof zur Bibel“ mache und „sofort mit der CDU ins Bett springen“ wolle. Dafür habe er nicht gekämpft, betont Perc und tippt sich an die Stirn, als wolle er sagen, hier seien völlig Losgelöste am Werk. Transparenz predigen und Geheimtreffen mit der CDU veranstalten, das übersteigt sein Fassungsvermögen. Der S-21-Gegner bekennt, lange geschwiegen zu haben, auch aus Loyalität der Partei gegenüber. Aber jetzt sei das Maß voll. „Ich kann nicht danebensitzen“, schimpft der junge Kreisvorsitzende, „und sagen: Der Schmiedel ist halt so.“ Kein Witz: Es gibt Leute in der kopflosen SPD, die sich nach Uli Maurer sehnen.