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Archiv-Artikel

So weit weg von Sarajevo

WELTMUSIK Balkanrhythmen und eigene Folklore – diese Mischung ist gerade in Mexikos Untergrundszene hip, inklusive Drogenkrieg-Thema

Mexikanischer Folk ist der Polkamusik sehr ähnlich, sein Grundrhythmus hat viele Übereinstimmungen mit Balkanbeat

VON FREDERIK CASELITZ

Die Mischung aus Elektrobeats und Balkanfolklore ist in Deutschland schon lange kein Geheimtipp mehr. Nach dem großen Hype ist das Interesse mittlerweile schon fast etwas abgeklungen und man mischt munter weiter auf Swing und Jazz. Dafür erlebt gerade Mexiko einen Balkanhype, und das nicht nur in Form von importierter Musik. Den Puls der Bewegung schlagen vielmehr mexikanische Orchestren, die Balkan-Beats mit der eigenen Musik Nortec mischen. Robert Mendoza aka Panoptica und DJ Sultán heißen die Produzenten hinter diesem Trend.

Ursprünglich hat Roberto Mendoza nicht mit Balkan-Beat angefangen, sondern nannte seine Musik Nortec, was bedeutet, dass es eine Mischung mexikanischer Folkloresongs mit Elektro-Rhythmen ist. Im Norden Mexikos ist Folklore, die gemeinhin Banda genannt wird, überall präsent, ob verbunden mit Texten über den Drogenhandel oder über Liebesschmerz. Mendoza hatte sich bereits in den 80er und 90er Jahren unter dem Namen Panoptica als Produzent unterschiedlicher Rockgruppen einen Namen gemacht, und vor etwa zehn Jahren kam ihm die Idee, die Banda-Folklore mit Elektro-Beats zu mischen.

Er sagt: „Damals hatten wir keinen Kontakt zu Balkan-Beats. Wir haben hier im Norden eine eigenständige Szene aufgebaut. Die mexikanische Volksmusik ist der Polkamusik sehr ähnlich, sodass die Grundrhythmen unserer Musik fast gleich sind wie die der Balkan-Beats.“ Zusammen mit einem alternativen Folklore-Kollektiv gründete er die Band Nortec Collective, die es auch über Mexiko hinaus zu beachtlicher Bekanntheit brachten. 2006 wurde ihre CD „Tijuana Sessions Vol. 3“ für zwei Grammys nominiert.

„Im Ausland werden wir teilweise als mexikanische Folklorekünstler vorgestellt, aber in Mexiko ist unsere Musik schon ein neues, urbanes Phänomen, das sich eigentlich auf die größten Städte beschränkt – Mexiko-Stadt, Monterrey, Guadalajara und Tijuana.“ Mendoza stammt wie die meisten Nortec-Künstler aus Tijuana, der berüchtigten Grenzstadt zu den USA, die beim Drogenkrieg im Mittelpunkt steht und gleichzeitig den Touristen aus den USA als Rotlicht- und Partystadt dient. Die Grenzthematik nimmt in der Musik eine zentrale Rolle ein. Tijuana ist mittlerweile so etwas wie eine Marke für verruchte Unterwelt und Rotlichtbezirke.

Tijuana macht glücklich

Die Texte stehen bei Nortec nicht immer im Mittelpunkt, teilweise kommt die Musik sowieso ohne Gesang aus. Trotzdem wird häufig mit dem Image der Grenzstadt kokettiert. Songs heißen „TJ Tango“ oder „Borderland“. Der Text von „Tijuana makes me happy“ (Tijuana macht mich glücklich) ist eigentlich ganz harmlos. „Manche Leute nennen es den fröhlichsten Ort der Welt, andere sagen, es sei ein gefährlicher Ort“, trällert der Sänger auf Englisch mit spanischem Akzent über eine heitere Melodie. Und er fährt fort: „Aber mir ist das egal. Alles, was mich interessiert, ist, dich wiederzusehen“. Das Video steht dann aber im harschen Kontrast zu dem friedlichen Song. Es zeigt einen minderjährigen Jungen mit einer erwachsenen Prostituierten und andere harte Einblicke in die Rotlichtviertel der Metropole.

„Wenn du in Tijuana aufwächst, kannst du der Drogen- und Grenzthematik gar nicht entkommen“, sagt Mendoza, „aber wir versuchen, das Ganze etwas surreal darzustellen und somit die Gewalt anders zu verarbeiten.“ In dem Song „Meet Again“ werden die Helikopter, die nachts nach Drogenhändlern fahnden, einfach zu Scheinwerfern, die den verliebten Pärchen nachts die Straßen erleuchten. „Man ist so abgestumpft, dass man überhaupt nicht mehr schockiert ist, wenn man von einer Schießerei oder von Toten hört. Man denkt sich mittlerweile: ‚Ach noch einer‘ “, so Mendoza.

Insofern unterscheidet sich Nortec stark von den Drogenschlagern, die die Händler und Kriminellen verherrlichen und die Gewalt romantisieren. „Es ist auch für Musiker verdammt gefährlich, sich klar zur Mafia zu positionieren. Wenn du ein bestimmtes Kartell lobst, dann musst du auch aufpassen, dass ein anderes Kartell sich nicht daran stört.“ Mendoza hat sich aus diesen Geschichten immer komplett herausgehalten.

Nach den großen Erfolgen mit Nortec Collective hat er mittlerweile die Band verlassen, um sich um ein eigenes Projekt zu kümmern, bei dem er mit vielen verschiedenen Künstlern zusammenarbeiten kann. Unter dem Namen Nortec Panoptica Orchestra vereint er weltweit Künstler, sogar den Deutschtürken Khan Oral konnte er als Sänger gewinnen. Auf der neuen CD mischt er mexikanische Folklore mit Cumbia, Reaggeaton und Balkanrhythmen.

Auch in Mexiko-Stadt gibt es eine Szene, die sich dieser Musik widmet. Nortec, Balkan-Beats und World Beat, das alles ist hier eng mit dem Namen DJ Sultán verknüpft. Bereits Ende der neunziger Jahre legte er in den größten Clubs von Mexiko-Stadt Musik von Goran Bregovic und anderen Größen aus Südosteuropa auf. „Ich war damals DJ im Foro Ideal, einem der angesagtesten Szene-Clubs. Es kamen bis zu 3.000 Leute an einem Abend, aber ich war der Erste, der Balkan in seinem Set hatte“, so Sultán mit Gründerstolz. „Damals war ich die absolute Ausnahme, die die musikalische Landschaft um ein paar dieser exotischen Klänge bereichert.“

Ska und Mestizo-Rock

Schon 2003 fing DJ Sultán an, eigene Remixes der Songs zu machen, und auch die Nachfrage nach Balkan-Beats nahm stetig zu. Langsam baute er weitere Künstler in seine Sets ein, erst einen Schlagzeuger, Gitarristen – und schließlich kam eine eigenständige Band mit Klarinette und Video-Animateuren zusammen. In Anlehnung an Bands aus anderen Subkulturen nannte man sich „La Internacional Sonora Balkanera“. Elektro-Beats werden dabei – wie auch bei manchen eher traditionelleren Balkangruppen – nicht immer verwendet.

Diese Balkangruppen stehen in der Tradition der alternativen Jugendkulturen Mexikos. „Die Einflüsse stammen ganz klar aus dem Ska und dem Mestizo-Rock, wo in Mexiko immer schon viel mit Blasinstrumenten gearbeitet wurde. Dann aber auch von Balkan Beat Box und Shantel aus Deutschland. Aber es ist unsere eigene Art, dem Worldbeat einen mexikanischen Anstrich zu geben“, sagt DJ Sultán.

Mittlerweile läuft in Mexiko-Stadt mindestens eine Balkanparty pro Woche. „Unsere Partys sind immer noch alternativ, bis in den Mainstream haben wir es also noch nicht geschafft, aber die Szene wächst ständig“, so Sultán. Bis jetzt hat „La Internacional Sonora Balkanera“ zwei EPs aufgenommen und in Eigenregie verkauft: „Tan lejos de Sarajevo“ – zu Deutsch: „So weit weg von Sarajevo“ und „Live@mx“. Beide EPs sind ausverkauft und die Arbeiten zum ersten Album endlich abgeschlossen.

Für die Gesamtproduktion holte man sich auch Robert Mendoza ins Boot. Seine Erfahrung aus der Nortec-Szene sollen auch der neuen mexikanischen Balkanmusik nützen. Das Album wird wie die Band „La Internacional Sonora Balkanera“ heißen und diesen Oktober erscheinen. Sultán erhofft sich, damit auch in Europa Anklang zu finden. Im Juni spielten sie schon in London und auf dem Glastonbury Festival, nächstes Jahr ist eine europaweite Tournee geplant. Dann möchte Sultán auch den Europäern zeigen, wie international der Balkan mittlerweile klingt.

Nortec Panoptica Orchestra, „s/T“ (LOV/RECS, 2010)

La Internacional Sonora Balkanera, „s/T“ dito (LOV/RECS, 2011)