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Archiv-Artikel

Es muss pure Liebe sein

Vierbeiner Hundehalter teilen viele Probleme. An eine freikirchliche Versammlung erinnert, wenn Martin Rütter zu Tausenden von ihnen über das Leben mit Hunden spricht. „Hund-Deutsch/Deutsch-Hund“ heißt seine aktuelle Show. Was passiert da?

Die Show ist vorbei, der Putztrupp wartet schon. Martin Rütter steht noch auf der Bühne und lässt sich feiern. Plötzlich macht er einen Schritt nach vorn und fragt jemanden aus dem Publikum: „Was steht auf deinem T-Shirt?“ Kann sein, dass die Antwort Rütter wirklich interessiert, muss aber nicht. Vielleicht ist er auch einfach nur geschäftstüchtig.

Nach der Show wird er wieder am Merchandisingstand zu finden sein, wie immer auf Tour, sich mit seinen Fans fotografieren lassen und auch die eine oder andere Fachfrage beantworten. Menschen suchen seine Nähe, er gibt sie ihnen und verdient daran prächtig. Wie ein Hund lebt er sicher nicht.

Oder eben doch. Denn Hunden in Deutschland geht es heute unverschämt gut. „Wir füttern Hunde zu festen Zeiten – was ist mit uns los?“, fragt Rütter während der Show. „Das ist doch Wahnsinn.“ Die Menge johlt, Rütter freut’s: Dieser Wahnsinn ist sein Geschäft.

Auf Rütters eigenem T-Shirt steht „Der tut nix“ – das ist auch der Titel seines nächsten Programms, mit dem der 41-Jährige wieder Stadien füllen wird. Knapp 7.000 (!) Zuschauer sind es, wie Rütter mehrfach erwähnt, an diesem Samstagabend in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof – Hundemenschen, wohin das Auge reicht. Rütter ist ihr Guru, ihm fressen sie aus der Hand. Die Atmosphäre gleicht einem Massengottesdienst einer US-Freikirche – Erleuchtete unter sich, die auf die „kleine Randgruppe da draußen“ („Rütter“) hinabblicken, die keinen Hund hat, also auch kein Verständnis. Zum Glück will Rütter nur spielen und nicht etwa eine Partei gründen. Vor diesen Wählern müsste man Angst haben.

Bekannt geworden ist Martin Rütter durch die TV-Dokuformate „Eine Couch für alle Felle“ (WDR) und „Der Hundeprofi“ (Vox), in denen er als eine Art „Super-Nanny“ für Vierbeiner Normalos wie B-Promis in Erziehungsfragen berät, wobei das nur die halbe Miete sei. „Natürlich ist es wichtig, einen Hund zu erziehen“, spricht Rütter zu seinen Jüngern, „aber noch wichtiger ist es, einen Hund zu verstehen.“

Hundemenschen

„Hund-Deutsch/Deutsch-Hund“ heißt folglich sein aktuelles Programm (zu dem auch ein Wörterbuch erschienen ist), in dem Rütter durch einen einfachen Kniff Kommunikationsprobleme zwischen Hundemensch und Menschenhund aufzeigt und aufzulösen versucht: Er wechselt die Perspektive, sieht die Welt mit den Augen eines Hundes und kritisiert durch diese Vermenschlichung deren Vermenschlichung, mit einem Augenzwinkern, versteht sich, wir sind ja zum Spaß hier. „Ich musste soo viel lachen“, sagt eine junge Frau in der Pause zu ihrer Freundin und klingt dabei, als wäre es ihr ein bisschen unangenehm.

Aber genau das mögen seine Fans an Rütter: Sie fühlen sich erkannt und ertappt zugleich, aber niemals verarscht. Denn der Rütter, der darf das, der ist einer von uns, seine Hündin heißt Mina und wenn der Golden Retriever auf den Küchentisch springt und eine Show abzieht, ist er hin- und hergerissen zwischen Hundetrainerzorn und Hundehalterverzückung. Rütter muss Sätze nur beginnen, etwa „Wir haben einen Komposthaufen …“ sagen und schon schwappt eine Welle aus Gelächter durch die Halle. „Jawoll“, sagt eine ältere Dame hinter mir immer wieder. Jawoll, genauso ist es bei uns auch. Konsequent sind Hundemenschen nur in ihrer Inkonsequenz – das verbindet.

„Das Thema ist immer Liebe“, sagt Rütter, „und manchmal steht uns die Liebe bei der Hundeerziehung im Weg.“ Was folgt, ist Verhaltensbiologie: „Serotonin, Dopamin, Milcheinschuss“, fasst Rütter zusammen, was der Anblick eines Welpen in einer Frau auslöst.

Martin Rütter ist Mario Barth plus Volkshochschule. Barths Thema sind Männer, Frauen und Schuhe, Rütters Thema Menschen, Hunde und höhenverstellbare Futternäpfe, nur dass er sich dabei nicht allein auf Anekdoten verlässt. Er will auch Wissen vermitteln, Missverständnisse ausräumen, „kompetentes Infotainment der Extraklasse“ heißt das auf der in der Pause für Werbebotschaften genutzten Videowand neben der Bühne.

Hinter Rütter in der Schultheaterkulisse steht eine überdimensionierte Hundehütte, auf die ein Golden Retriever gemalt ist. „Mina“ steht darüber. Wer’s glaubt …?! Das kann der Rütter seiner Omma erzählen, dass sein Hund in einer Hütte schläft und nicht in seinem Bett!

DAVID DENK