: Das Doppelleben des Herrn S.
Tagsüber ging er brav ins Büro, nachts beobachtete er heimlich Frauen. Irgendwann reichte ihm das nicht mehr aus: Stefan S. stieg in Wohnungen ein und vergewaltigte. Vor dem Landgericht legte er gestern ein Geständnis ab
In einem Brief an seine Frau schrieb Stefan S. aus der Untersuchungshaft: „Ich weiß, dass mein Weg hier zu Ende ist.“ Pragmatisch ordnete der 50-Jährige an, wie die Kündigung seiner Wohnung in Altona zu erfolgen habe, dass sein Auto verkauft und die Lebensversicherung an seine Frau ausgezahlt werden soll. Es war ein Geständnis zu einem Zeitpunkt, als er gegenüber der Polizei noch geschwiegen hat. Gestern dann bekannte sich Stefan S. offiziell zu seinen Taten: Vor dem Hamburger Landgericht gestand er, im April dieses Jahres und zuvor bereits im Juli 2003 jeweils in Eimsbüttel nachts in die Wohnung einer Frau eingestiegen zu sein, sie bedroht, gefesselt und vergewaltigt zu haben.
Stefan S. überfiel Frauen, als sie am schutzlosesten waren: Nachts im Schlaf, in der eigenen Wohnung. In den privaten Bereich fremder Menschen einzudringen, machte für ihn gerade den Reiz an der Situation aus. Sein Leben lang hat der Mann ein Doppelleben geführt: Tagsüber ging der gelernte Optiker und IT-Kaufmann brav ins Büro, nachts streunte er umher und beobachtete heimlich Frauen. Immer wieder wurde er dabei ertappt, wie er in Hinterhöfen stand und durch fremde Fenster lugte, das Geschlechtsteil entblößt. Schon als Jugendlicher stieg er in fremde Wohnungen ein. Damals reichte es ihm, das Gefühl zu haben, in einer „fremden Welt“ zu sein. Er fasste in den Wohnungen Gegenstände an und machte sich davon, ehe er entdeckt wurde.
Irgendwann reichte ihm das nicht mehr aus. Erst verfolgte er nachts Frauen. Dann tat er es so offensiv, dass die Frauen ihn bemerkten und Angst bekamen. „Der Moment, in dem sie sich umdrehten, erregte ihn sehr“, so eine Gutachterin im Jahr 1996. Damals hatte er seinen ersten Prozess, denn das reine Nachstellen hatte ihn irgendwann nicht mehr befriedigt: 1995 hatte er eine Frau nach dem Eindringen in ihre Wohnung mit dem Messer bedroht und zu sexuellen Handlungen gezwungen.
Stefan S. ist einsichtig und auch nicht. So ist er acht Jahre lang zur Psychotherapie gegangen. Seine sexuellen Phantasien aber hat er dort nicht offenbart. Und in seinen Briefen, die in der Haft abgefangen wurden, bezeichnete er sich selbst zwar als „egoistisches Schwein“. So weit, mit seinem Geständnis nun auch den gepeinigten Frauen zu helfen, geht er jedoch nicht. Deren Anwältinnen haben ihn gebeten, zumindest zu verraten, wie er damals in die Wohnungen eingedrungen ist. Stefan S. ist dabei so professionell vorgegangen, dass die Polizei keine Einbruchsspuren gefunden hat. Doch das verrät er nicht. Er sagt, dass er die Taten gesteht, mehr nicht. „Würde sich für Sie etwas ändern, wenn Sie wüssten, dass es für meine Mandantin sehr wichtig wäre, endlich zu erfahren, wie Sie in die Wohnung gekommen sind?“, fragte eine Nebenklagevertreterin. Stefan S. schwieg.
Für ihn steht einiges auf dem Spiel, trotz des Geständnisses. Wegen der vergleichbaren Tat 1995 hat er bereits im Gefängnis gesessen: Zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilte ihn damals das Landgericht. Damals befand eine psychiatrische Sachverständige, dass Stefan S. eine schwere psychosexuelle Störung mit Ausbildung sexueller Perversionen unterschiedlichster Art habe. Kommt der jetzige Sachverständige zu dem gleichen Schluss, droht Stefan S. nach Verbüßung einer erneuten Haft die Sicherungsverwahrung – was bedeuten könnte, dass er nie wieder in Freiheit kommt.
Als er das erste Mal im Gefängnis saß, war Stefan S. auch zum ersten Mal bereit, sich wegen seiner sexuellen Neigungen behandeln zu lassen. Er beantragte eine Therapie am Institut für Sexualforschung und forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Auch die Gutachter, die damals über sein Verhalten in der Haft und seine Entwicklung zu befinden hatten, rieten dringend zu dieser Spezialtherapie. Die zuständige Justizbehörde aber lehnte die Behandlung im UKE ab – aus Kostengründen. Der Prozess wird heute fortgesetzt.ELKE SPANNER