: Die Flügel des Albatros
Wir dachten, wir bekommen einen zurückhaltenden Spieler.“ So wie Pressesprecherin Zita Newerla ging es den meisten Flensburgern, als zu Beginn der Saison der 28-jährige Holger Glandorf für den rechten Rückraum verpflichtet wurde. Der Nationalspieler hatte in den zurückliegenden Jahren alles dafür getan, sich das Image des bodenständigen, nüchternen Antistars zu geben. Als nach der gewonnen Heim-WM 2007 Spitzenclubs wie der FC Barcelona bei ihm anklopften, entschied er sich, auf der heimischen Scholle zu bleiben. Bis zum Konkurs im Jahr 2009 blieb er das Gesicht der Mannschaft der HSG Nordhorn.
Dazu passt die gern erzählte Geschichte, dass er die Siegesparty nach dem WM-Gewinn frühzeitig verließ, um seine damalige Freundin – und jetzige Ehefrau – zur Arbeit zu fahren. „Ich habe es Christin versprochen – dafür ist sie zum Finale gekommen“, erklärte er den verdutzten Mitspielern.
Tattoos wie Stefan Kretzschmar trägt Glandorf immer noch nicht, dennoch hat er die Flensburger überrascht. „Er war vom ersten Augenblick an Flensburger“, sagt Newerla und schwärmt davon, wie engagiert er sich in die an der Förde gewachsene Handball-Familie einbringt. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in der „Familien-Ecke“ in Handewitt, die einst vom ehemaligen Trainer Kent-Harry Andersson begründet wurde. Andersson war es auch, der Glandorf als Trainer der HSG Nordhorn 1999 zum Sprung in die Bundesliga verhalf. Dort profitierte er von den genauen Anspielen des schwedischen Spielmachers Ljubomir Vranjes – seines heutigen Trainers. „Er hat mir viel geholfen, als ich ein junger Spieler war“, sagt Glandorf. Nach zwei Jahren in Lemgo, wohin er nach Nordhorns Konkurs 2009 gewechselt war, fühlt sich Glandorf wieder heimisch: „Nun kann ich wieder an das skandinavische Spielsystem anknüpfen, mit dem ich in Nordhorn groß geworden bin“.
Wie ihn das befreit, konnte man beim 33:28 am Samstag gegen TuS N-Lübbecke beobachten. Immer wieder puschte er seine Mannschaft nach vorn und war mit neun Treffern der beste Feldspieler. Nach jedem Tor breitete er seine langen, dünnen Arme aus und schwang sie wie die Flügel eines Albatros.
„Holger ist ein explosiver Handballer, der eine Einstellung hat, wie kaum ein anderer Bundesliga-Akteur“, schwärmt SG-Trainer Vranjes. „Wir werden noch viel mehr von ihm sehen.“ Gerade auf der Position, wo die SG mit den Abgängen von Marcin Lijewski und Oscar Carlén in den letzten Jahren den größten Aderlass hatte, keimt nun die Hoffnung auf weitere Titel am stärksten. RALF LORENZEN