Erst noch ein bisschen nachdenken

GENRE PINKFILM Sexszenen und Musikeinlagen im Softerotik-Film „Underwater Love – A Pink Musical“ von Shinji Imako

Was den spezifisch japanischen Erotikfilm seit seiner Blütezeit in den 60ern auszeichnet: alle zehn Minuten eine Sexszene, was dazwischen geschieht, ist der Kreativität des Regisseurs vorbehalten

Was ein Kappa ist, erfährt man auf einer Texttafel vorab: eines der populärsten Wesen der japanischen Folklore, irgendwo zwischen Schildkröte, Frosch und Troll, das in Gewässern aller Art, vorzugsweise aber in Tümpeln lebt, gerne Gurken isst und die Menschen mit bösen Scherzen foppt.

Einen ganz besonders niedlichen Vertreter seiner Art findet man etwa bei Hokusai verewigt, nicht ganz so schön anzusehen ist der mit lidschäftiger Maskerade auftretende Kappa Aoki (Yoshiro Umezawa), der zu Beginn von „Underwater Love – A Pink Musical“ vor der Fabrikarbeiterin Asuka (Sawa Masaki) aus dem Wasser steigt und sich fortan in ihrem Leben einrichtet. Dies wirkt sich insofern ungünstig aus, da Asuka gerade ihren Vorgesetzten (Mutsuo Yoshioka) zu heiraten gedenkt, während der Kappa sich ausgerechnet als Reinkarnation ihres seinerzeit ertrunkenen Jugendschwarms entpuppt.

Nicht vorab vom Film informiert wird man darüber, was ein „Pinku Eiga“, ein pinker Film also, ist. Der ist als kulturelle Eigenheit ähnlich japanisch wie der Kappa und offenbart sein zentrales Strukturelement nach zehn Minuten Laufzeit: Da kommt Asukas Verlobter in die Wohnung geplatzt und verlangt auf der Stelle nach Sex, während Asuka ihn unter allerlei Ausreden – „Ich muss noch ein bisschen nachdenken!“ – aus der Tür zu komplimentieren versucht, damit er den Kappa in der Waschmaschine nicht entdeckt. Gefickt wird dann trotzdem: „Geht ganz schnell, dann kannst du auch gleich weiter nachdenken“, meint er noch davor und bringt damit auf den Punkt, was den „Pinku Eiga“ als spezifisch japanischen Erotikfilm seit seiner Blütezeit in den 60ern auszeichnet: alle zehn Minuten eine Sexszene, was dazwischen geschieht, ist der frei waltenden Kreativität des Regisseurs vorbehalten. Vor allem die wütenden politischen Regisseure der 60er, beispielsweise Altmeister Koji Wakamatsu, dessen Spätwerk jüngst auch von der Berlinale abgebildet wird, nutzten den „Pinku Eiga“, wilde Filme abseits des rigoros vertikal organisierten Studiosystems zu drehen.

Politische Salven gehen von „Underwater Love“ zwar keine aus, vielmehr zelebriert der Film den anarchischen Charme eines hemmungslos ausgelebten Dilettantismus. So etwa in den zahlreichen Musicalszenen, in denen zum japanisch eingesungenen Casio-Schrott-Pop des Berliner Duos „Stereo Total“ albern und improvisiert vor der Kamera herumgehopst wird. Mitunter liegt darin eine sympathische Ahnung von Freiheit, wie auch in den Sexszenen, die zur industriellen Zurichtung üblicher pornöser Bildregime kaum in Sichtnähe stehen, sondern, bei aller Überdrehtheit, noch im Griff zum Kleenex danach einen Rest Alltagsrealismus zu erhaschen versuchen. Nicht ganz dazu passt, dass als Kameramann Christopher Doyle, sonst eher einer kontrolliert opulenten Bildbandästhetik verschrieben, ein Protagonist des asiatischen Festival-Prestigefilms verpflichtet wurde. Doch sei’s drum: In „Underwater Love“ findet sich ein letzter Splitter jener filmischen Utopie, die der Trashfilm einst als Versprechen in die Filmgeschichte trug. THOMAS GROH

■ „Underwater Love – A Pink Musical“. Japan/Deutschland 2011. Regie: Shinji Imaoka. Mit: Sawa Masaki, Yoshiro Umezawa, Ai Narita u. a. Laufzeit: 87 Min.