piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Geistesblitz zum Bier

„Liebe ist gemeinsame Freude an der wechselseitigen Unvollkommenheit“. Gedanken wie diesen verkauft Cornelius Bless für 50 Cent. Fast jeden Abend zieht er damit durch Hamburger Kneipen

VON CONSTANTIN WISSMANN

Der Rosenverkäufer war schon da. Und auch der Polaroid-Fotograf kam bereits in die Kneipe, um seine Dienste anzubieten. Beide ernteten nur ein dezentes Kopfschütteln. „Nicht noch einer von denen!“, ist der erste Gedanke, als der hagere Mann mit dem großen Hut sich nähert. Doch dann die Überraschung: „Guten Tag, wollen Sie einen Geistesblitz kaufen?“, sagt er mit sanfter Stimme.

Damit hat keiner gerechnet. Der Blick schweift auf die Laterne, die der Mann in der Hand hält. Die Wände sind kunstvoll mit Porträt-Fotos berühmter kluger Köpfe verziert. Oben ragen Kärtchen in grün, blau, rot und gelb heraus. Das macht neugierig. Für 50 Cent darf man einmal ziehen. „Liebe ist gemeinsame Freude an der wechselseitigen Unvollkommenheit“, steht auf der grünen Karte neben einem kryptischen Symbol aus sieben Sternen. Und darunter der Name des Autors: Ludwig Börne.

„Geistesblitze“ wie diesen bringt Cornelius Bless seit drei Jahren unter die Leute. Fast jeden Abend zieht er dafür mit seiner Laterne durch die Kneipenlandschaft von Ottensen, St. Pauli und Eimsbüttel. „Ich möchte, dass das, was mich weitergebracht hat, auch den Horizont anderer Menschen erweitert“, sagt er. Schon immer war Bless ein Suchender. Als junger Mann wollte er Diakon werden, dann studierte er lange Philosophie. In der Arbeitswelt wurde er aber nicht glücklich. Bei einem großen Hamburger Verlag war er in der Weiterverarbeitung tätig. „Eigentlich war ich nur da, um Geld zu verdienen“, erinnert sich Bless. Irgendwann reichte ihm das als Motivation nicht mehr aus: „Ich verspürte den Grundimpuls, etwas Sinnvolles zu machen.“ Kurzerhand gründete er seinen eigenen „Cornelius Bless Verlag“.

Unter diesem Namen verkaufte er aufwendig gestaltete Karten aus handgeschöpftem indischen Papier an Kirchengemeinden oder Galerien. Irgendwann fing er an, auf Partys einzelne Karten – bedruckt mit klugen Gedanken – zu verteilen. „Die Geistesblitze fallen mir zu, weil ich sehr viel lese – von Nietzsche bis Gorch Fock. Mir ging es darum, mit ihren Worten die Gesprächsthemen zu erweitern, ein bisschen vom Fußball abzulenken“, sagt Bless lächelnd. Das kam an. „Eine Freundin hat ihren gesamten Kühlschrank mit den Karten beklebt“, erzählt er. Kurze Zeit später entschloss er sich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Mit dem Verlag kommt Bless, der in Bergedorf wohnt, finanziell einigermaßen über die Runden. Oft wird er für Feste oder von Seniorenheimen gebucht, um die Anwesenden geistig anzuregen. Aber um Geld geht es dem 50-Jährigen gar nicht. „Ich lerne Menschen aus allen Bereichen des Lebens kennen, sei es der Mann, der kurz vor der Abschiebung steht, oder die Frau, die gerade von ihrem Mann verlassen wurde. Diese Vielschichtigkeit beeindruckt mich.“ Und auch ihn kennen immer mehr Menschen. Auf einem Poetry-Slam-Wettbewerb, an denen Bless auch selbst oft teilnimmt, hörte er einmal ein über ihn geschriebenes Gedicht.

„Ich bin auf einem guten Weg, das zu tun, was ich schon immer machen wollte“, sagt der leidenschaftliche FC St. Pauli-Fan heute. Wenn es gut läuft, verkauft er 60 bis hundert Karten pro Abend. „Eigentlich wollte ich mal philosophische Bücher schreiben. Aber ich glaube, dass ich auf diese Weise viel mehr Menschen zum Lesen bringen kann“, sagt Bless. Das versucht er auch mit szenischen Lesungen in der Ottenser „Kaderschmiede“ zu erreichen. Unter dem Namen „Neues Bewegen“ möchte er bald Workshops organisieren. Und manchmal mischt er mittlerweile eigene „Geistesblitze“ unter all die Bonmots von Lao Tse oder Tucholsky.