: „Pakistan wird weiter talibanisiert werden“
Der Anschlag auf Benazir Bhutto erschwert die Demokratisierung Pakistans, meint der Atomphysiker Pervez Hoodbhoy. Der Einfluss der Islamisten lässt sich nicht durch Politiker wie Bhutto zurückdrängen. Sondern durch Rechtsstaatlichkeit
PERVEZ HOODBHOY, 57, ist Professor für Atomphysik an der pakistanischen Quaid-i-Azam Universität in Islamabad. Der Atomwaffenkritiker promovierte am Massachussetts Institute of Technology und engagiert sich in seiner Heimat in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen insbesondere zu Bildungsfragen. Regelmäßig nimmt er zudem als Autor und Kommentator Stellung zur politischen Entwicklung in Pakistan.
taz: Herr Hoodbhoy, welche Folgen hat der Anschlag auf Benazir Bhutto für die Hoffnung auf eine Demokratisierung Pakistans?
Pervez Hoodbhoy: Es wird jetzt für jede politische Gruppe sehr schwer, große politische Kundgebungen abzuhalten, weil nur noch wenige wagen, dorthin zu gehen. Selbstmordattentate, um Wahlen zu verhindern, sind eine Taktik von al-Qaida. Al-Qaida will keine Wahlen, sondern einen islamischen Staat und lehnt Regierungen ab, die Legitimität durch die Wahlen erhalten.
Bhutto sagt, die Verantwortlichen für den Anschlag säßen in der Regierung …
Sie macht Anhänger des früheren Diktators Zia-ul-Haq in der Regierung verantwortlich – etwa seinen Sohn, der heute Religionsminister ist. Sie beschuldigte viele Leute grundlos, weil sie meiner Meinung nach keine Informationen über deren Beteiligung hat. Bezeichnenderweise nennt sie aber weder al-Qaida noch die Taliban, obwohl der Selbstmordanschlag doch die Handschrift von al-Qaida trägt.
Warum tut sie das nicht?
Weil das in Pakistan ein Tabu ist. Moderate Muslime trauen sich nicht, die Ermordung von Ärzten oder Anschläge auf Musikgeschäfte durch Islamisten offen zu verurteilen. Schon 9/11 haben sie kaum öffentlich verurteilt, obwohl sie diese privat verabscheuten. Das ist jetzt ähnlich.
Jetzt waren alle rund 140 Opfer Muslime.
Ja, trotzdem wird geschwiegen.
Warum?
Weil Verbrechen im Namen des Islam in Pakistan ein Tabu sind.
Bin Laden wird in Pakistan als eine Art Volksheld gefeiert. Wird der Anschlag auf Bhutto dieses Image verstärken?
Nein, denn Bin Ladens Beliebtheit rührt vom 11. September her. Angriffe auf Pakistaner machen ihn dagegen unbeliebt. Der verklärte Blick auf al-Qaida als gute Kämpfer für eine edle Sache wird bald verschwinden.
Die USA haben Bhuttos Machtarrangement mit Musharraf eingefädelt. War das eine gute Idee?
Bhutto und Musharraf werden als Agenten der USA gesehen. Bhutto will Bin Laden suchen lassen und der internationalen Atomenergiebehörde Zugang zu dem Atomwissenschaftler A. Q. Khan ermöglichen, der Nuklearmaterial nach Nordkorea schmuggelte. Sie trägt damit in den Augen ihrer islamistischen Gegner alle Züge eines US-Agenten.
Warum hat sie trotzdem so viele Anhänger?
Weil ihre Partei vielen als liberal, säkular und sozial gilt. Viele sehen in ihr noch eine Alternative zu den Islamisten und zum drohenden Bürgerkrieg.
Wird sie diese Hoffnungen erfüllen?
Kaum. Bhutto wird die Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht verbessern. Sie wird auch nicht gegen die Islamisten vorgehen, weil das mit zu hohen politischen Kosten verbunden wäre. Genauso wie Musharraf oder auch der frühere Premier und Bhutto-Rivale Nawaz Sharif wird sie pragmatisch die Stimmung im Land im Blick behalten. Und diese Stimmung wird stark von den Mullahs geprägt.
Wie ließe sich der Einfluss der Islamisten in Pakistan wirksam zurückdrängen?
Mit Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung der Gesetze. Zwar bricht hier jeder ungestraft Gesetze, insbesondere tun dies aber die Mullahs: Sie bauen ihre Koranschulen in öffentliche Parks oder Naturschutzgebiete und betreiben illegale Radios. Auch der Fall der Roten Moschee im Zentrum Islamabads, die von Islamisten aus dem Umfeld der Taliban übernommen worden war, ist ein Beispiel für geduldeten Gesetzesbruch. Der zweite Schritt ist die Beseitigung der Ursachen, also von Armut und massiver Unzufriedenheit. Drittens muss, um die Talibanisierung Pakistans zu beenden, der Bildungsbereich umstrukturiert werden. Das Problem sind nicht nur die Koranschulen, sondern auch die öffentlichen Schulen, die islamisiert wurden.
Bhutto und Sharif gelten als korrupt. Sind sie nicht die beste Werbung für die Islamisten?
Das befürchte ich, denn die Islamisten haben immer dann Erfolg, wenn säkulare Politiker scheitern. Als Zulfikar Ali Bhutto, Benazirs Vater, in politischen Schwierigkeiten steckte, begann er mit einer Islamisierung. Die Mullahs haben seine Schwäche ausgenutzt, ihn angegriffen, und letztlich ließ ihn General Zia-ul-Haq hängen. Wenn das säkulare Duo Musharraf und Bhutto das Land weiterplündert, wird das den Islamisten nutzen.
Wird Bhutto die Herrschaft der Armee wirksam einschränken können?
Kaum. In ihren vorherigen zwei Amtszeiten hat Bhutto die Sicherheitspolitik, die Atomwaffenfrage und die Afghanistanpolitik der Armee überlassen. Bhutto wird diese Politik wohl fortsetzen. Sie wird ihre Leute auf bestimmte Posten hieven und der fortgesetzten Herrschaft des Militärs eine zivile Fassade geben.
INTERVIEW: SVEN HANSEN