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Archiv-Artikel

Braucht die syrische Opposition militärische Hilfe?

REVOLUTION Nach Monaten der Gewalt will Assad seine Soldaten aus den Städten abziehen. Die Opposition spricht von einem Scheinfrieden

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Khawla Dunia, 43, engagiert sich als politische Aktivistin in Syrien

Eine Flugverbotszone über Syrien ist meiner Meinung nach aus mehreren Gründen wichtig: Einerseits würde sie weiteren Truppeneinheiten das Desertieren ermöglichen, vielleicht sogar ganzen Brigaden und Bataillonen, die einen solchen Schritt bisher nicht gewagt haben. Solche großen Truppenabspaltungen könnten die Waagschale zugunsten der Revolution neigen und vielleicht rascher zu einer militärischen Überlegenheit führen, die den Sturz des Regimes in Damaskus und damit den Sieg der Revolution zur Folge hätte. Sie würde auch zum Schutz der Deserteure beitragen, die sich in den dicht bevölkerten Regionen verstecken, wodurch gleichzeitig die Zivilbevölkerung geschützt werden könnte. Eine solche Forderung käme nach achtmonatigen friedlichen Demonstrationen, bei denen täglich Tote zu beklagen waren und sind. Dieses Morden muss beendet werden. Die Flugverbotszone könnte ein Mittelweg sein zwischen einem militärischen Eingreifen durch das Ausland, was die Syrer ablehnen, und der Fortsetzung ihres friedlichen Kampfes gegen ein diktatorisches Regime, das die Revolution mit allen ihr zur Verfügung stehenden barbarischen Methoden zunichtemachen will.

Hamed Abdel-Samad, 39, ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler

Einen Krieg in Syrien will keiner, doch der Krieg ist längst da und kostet täglich mehrere unschuldige Menschen das Leben. Tatenlos darf die Nato auch diesmal nicht bleiben. Die Arabische Liga, die hauptsächlich von arabischen Diktatoren gelenkt wird, scheint machtlos zu sein. Die von ihr geforderte Waffenruhe und Entlassung der politischen Gefangenen blieb bislang ohne Folgen. Das Regime akzeptierte zwar die arabische Initiative, doch scheinbar nur um Zeit zu gewinnen. Die Repression und die Gewalt gehen weiter. Nach Monaten der Brutalität ist eine friedliche Lösung nicht in Sicht. Auch Teile der Opposition sind bewaffnet. Je länger die asymmetrischen Kämpfe dauern, desto mehr driftet das Land Richtung Bürgerkrieg. Eine Nato-Intervention sollte aber anders ablaufen als in Libyen. Hier sollte die Türkei federführend sein. Auch ein Abkommen mit der Opposition sollte vor einer Militäraktion abgeschlossen werden, um Rechtstaatlichkeit und Schutz von Minderheiten für die Zeit nach Assad zu garantieren.

Loay Mudhoon, 39, ist Nahostexperte und Redaktionsleiter von Qantara.de.

Das Assad-Regime geht seit mehr als sieben Monaten mit brutaler Härte gegen eine friedliche Protestbewegung vor. Im Krieg gegen das eigene Volk schrecken seine Truppen nicht davor zurück, eigene Bürger mit schweren Waffen zu beschießen. Angesicht dieser enthemmten Brutalität erscheint mir eine internationale Intervention unausweichlich, auch in Form einer Militärhilfe für die wehrlose Demokratiebewegung. Doch eine internationale Militärintervention birgt große Risiken und kann dem Regime in die Hände spielen, das seit März 2011 versucht, den Volksaufstand als „Teil einer ausländischen Verschwörung“ zu denunzieren. Um dies zu verhindern, muss jede Form externer Hilfe ausschließlich dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen – und keinesfalls einem Regimesturz. Auch nachdem Assad einem Friedensplan der Arabischen Liga zugestimmt hat, bleibt Skepsis angebracht. Die Militärhilfe zum Schutz der Zivilbevölkerung bleibt notwendig.

Gernot Erler, 67, ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Der Mut der Menschen in Syrien ist bewundernswert. Trotz der Brutalität des Regimes, dem bislang über 3.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, nehmen die Proteste kein Ende. Der Ruf nach Einmischung von außen wird verständlicherweise lauter. Dennoch ist Vorsicht geboten. Im Gegensatz zu Libyen, wo die Arabische Liga das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft gefordert hatte, gibt es diese Geschlossenheit im Fall Syriens nicht. Ein militärisches Eingreifen hätte nämlich weit mehr Konsequenzen als in Libyen. Syrien ist nicht nur ein enger Verbündeter des Iran. Das Land ist auch Hauptunterstützer der Hisbollah, die vermutlich nur auf ein Signal aus Damaskus warten würde, um im Libanon an der Grenze zu Israel eine zweite Front aufzumachen. Ein Flächenbrand wäre nicht auszuschließen. Das kann niemand verantworten. Wir müssen den wirtschaftlichen und politischen Druck auf das Assad-Regime ausbauen, um es zu einer Abkehr von seiner Repressionspolitik zu zwingen.

Maissun Melhelm, 29, ist syrische Journalistin bei der Deutschen Welle

Ob man die Opfer der syrischen Tragödie von Deutschland aus durch Facebook-Meldungen zählt oder die Brutalität des Regimes durch den Verlust von Familienmitgliedern oder gar von Körperteilen am eigenen Leib erfährt, ändert nichts an der Überzeugung, dass das syrische Volk beschützt werden muss. An der Einschätzung, welchen Preis das Land dafür bezahlen kann, aber sehr wohl. Die Forderungen nach einer Flugverbotszone halte ich nur für berechtigt, weil sie von hilflosen Menschen kommen, die keinen anderen Ausweg sehen. Es sind aber nicht die Forderungen aller Syrer, nicht einmal aller Oppositionellen. Eine Intervention könnte den ganzen Nahen Osten in Brand setzen, zitiere ich den syrischen skrupellosen Diktator sehr ungern, denn er wird sich der Unterstützung seiner Anhänger bedienen. Aufgrund dieser Tatsachen, die ich dank der Geborgenheit innerhalb meiner vier Wände in Deutschland noch deutlich sehen kann, bin ich prinzipiell gegen eine militärische Intervention.

Fabian Labude (Name geändert), 30, war als Menschenrechtler in Syrien

Ein militärisches Eingreifen von außen wird die Lage vor Ort nicht verbessern. Mögliche Flugverbotszonen würden weder das Foltern beenden noch die Scharfschützen auf den Dächern hindern, auf die Demonstranten zu schießen. Luftangriffe auf syrische Städte oder Militäreinrichtungen werden die Militärführung nicht spalten, sondern weiter vereinen. Vor allem aber würde eine militärische Intervention dazu führen, dass sich die Proteste selbst militarisieren und bewaffnete Milizen die friedlichen und von den Syrern selbst organisierten Massenproteste ersetzen werden. Es ist absehbar, dass Assad nicht den Plan der Arabischen Liga umsetzen wird, da ihm ansonsten Massenproteste im ganzen Land drohen. Umso mehr gilt: Ja, wir müssen eingreifen – aber nicht durch Anrufung der Nato, sondern eigenständig als Zivilgesellschaft. Von der finanziellen Unterstützung von Aktivisten bis zur Bereitstellung von medizinischen Geräten für die geheimen Lazarette – Ansatzpunkte gäbe es genügend. Es ist an der Zeit, die Proteste in Syrien zu unterstützen. Diese Form der solidarischen Intervention ist nicht neu. Früher hieß sie: internationale Solidarität.