Arbeitnehmerrechte im Sortiment

Im Lidl-Discounter-Markt in Hamburg-Eidelstedt wählten die Beschäftigten trotz Einschüchterungsversuchen einen Betriebsrat. Es ist die erste Lidl-Belegschaftsvertretung in Norddeutschland. Konzern-Chef zeigt sich offenbar langsam einsichtig

Drei Jahre nach Beginn der Schwarz-Markt-Kampagne zeigt diese Erfolge. So wählten die Beschäftigten des Lidl-Marktes Stuttgart-Feuerbach kürzlich einen Betriebsrat. In Bamberg kann der Betriebsrat bereits Erfolge vorlegen. „Unbezahlte Überstunden und sonntags putzen gehören der Vergangenheit an“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Ulrike Schramm de Roberts. Auch Ver.di ist gestärkt worden, durch 564 Eintritte bei Lidl und 1.070 bei der Firmenschwester Kaufland .  KVA

VON KAI VON APPEN

Ein Tabu bricht: Die 17 Beschäftigten des Lidl-Discounter-Marktes in Hamburg-Eidelstedt haben trotz Widerstände einen Betriebsrat gewählt. Das ist zumindest für den Norden ein Novum. „Es ist ein toller Erfolg für die Kolleginnen und Kollegen dieses Marktes“, sagt Ulrich Meinecke, Fachbereichsleiter der Gewerkschaft Ver.di in Hamburg. „Es bleibt zu hoffen, dass sich nun viele Lidl-Beschäftigte anderer Märkte ein Herz fassen und diesem Schritt folgen – nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Norddeutschland.“

Die Betriebsratswahlen in dem Eidelstedter Markt direkt an der großen Lenz-Hochaussiedlung war seit Wochen von Ver.di zunächst als geheime Kommandosache vorbereitet worden. Vor gut einer Woche ist offiziell der Wahlvorstand gewählt worden. „Vorgesetzte vor Ort haben dann versucht, die Wahl zu behindern“, berichtet die zuständige Ver.di-Sekretärin Anja Keuchel. So sei versucht worden, in Vier-Augen-Gesprächen durch Unwahrheiten die Mitarbeiterinnen von der Wahl abzuhalten. Es sei gesagt worden, dass nach der Wahl die Filiale geschlossen werde, oder dass es keine Überstunden mehr gebe. „Die brauchen die Überstunden bei den Löhnen und wenigen Teilzeitstunden“, sagt Keuchel. Auch sei gesagt worden, der Betriebsrat werde nach der Wahl ein halbes Jahr auf Schulungen verschwinden.

Ver.di reagierte auf die Einschüchterungen, indem seit Montag immer eine Ansprechperson vor der Tür anwesend war um einzugreifen. „Die haben sich nicht abschrecken lassen“, sagt Keuchel, „weil sie alle einen Betriebsrat wollten.“ Die Wahlbeteiligung habe bei 100 Prozent gelegen.

Die betriebsratlose Situation und die Arbeitsbedingungen in der Lidl-Gruppe mit ihren 2.850 Filialen, die dem Schwarz-Konzern gehört, ist Ver.di schon lange ein Dorn im Auge. Nach zweijährigen Recherchen in 250 Lidl-Filialen legte der Autor Andreas Hamm 2004 für Ver.di das „Lidl-Schwarzbuch“ vor. Es legte die systematische Verletzung der Rechte von Beschäftigten offen. So mussten viele Verkäuferinnen zu Niedriglöhnen pausenlos unter Akkordbedingungen arbeiten, unbezahlte Mehrarbeit und kurzfristige Arbeitseinsätze leisten. Kassierinnen sind durch Lidl-Kontrolleure getestet worden, die versuchten, Waren an der Kasse vorbeizumogeln. War der fingierte Testkauf erfolgreich, gab es die Kündigung. Da es keinen Betriebsrat gab, waren die Angestellten oft machtlos. In etlichen Filialen sollen auch heimlich Kameras installiert worden sein, die nicht vor Diebstahl schützen, sondern die Mitarbeiter überwachen sollten. Haben Beschäftigte versucht, einen Betriebsrat zu gründen oder fielen sie missliebig durch gewerkschaftliche Aktivitäten auf, sind sie laut Schwarzbuch entweder sofort entlassen oder durch Mobbing zu Aufhebungsverträgen oder Selbstkündigungen gezwungen worden.

Seitdem sind sechs Ausgaben der Kampagnenzeitung Schwarz-Markt erschienen. Zuletzt ist die Aktion Denkzettel initiiert worden, bei der 50.000 Postkarten an Eigentümer Dieter Schwarz geschickt worden sind.

Lidl versuchte mit Image-Kampagnen dagegen zu steuern. So rühmte sich das Unternehmen damit, 1.600 Ausbildungsplätze zu schaffen – allerdings ohne Ausbildungsvertretungen. Im vorigen Jahr karrte das Unternehmen 650 Lidl-Auszubildende aus ganz Deutschland nach Hamburg, um diesen medienwirksam für eine Woche die 33 Lidl-Märke in der Stadt zu überlassen – vom Öffnen und Schließen der Märkte übers Kassieren und Sortieren, der Warendisposition und der Abendabrechnung bis zum Scharfschalten des Tresors. „Wir wollen damit ein Zeichen setzen, den Azubis frühzeitig Verantwortung zu überlassen“, sagte damals der Regionalleiter Hamburg, Frank Scheithauer.

Trotzdem räumt der Chef des Schwarz-Konzerns Klaus Gehrig offen ein, dass die Lidl-Kampagne von Ver.di, die zusammen mit Attac und den beiden großen Kirchen geführt wird, Wirkung zeigt. „Der Ärger über die massiven Attacken ist mir deutlich anzumerken“, sagte Gehrig der Zeitung Heilbronner Stimme. Gehrig lenkt die Geschäfte des Schwarz-Konzerns – zu der auch die Kaufland-Kette gehört – aus Neckarsulm sehr erfolgreich. So stieg der Umsatz nach eigenen Angaben auf 44 Milliarden Euro. Unlängst überraschte Gehrig plötzlich mit Einsicht auf Versäumnisse: Defizite in der Mitarbeiterführung auszuräumen sei seine „neue Priorität“.