: Die Vereinzelung im Ohr
SCHORSCH KAMERUN „Der entkommene Aufstand“ – ein Konzert in Köln
Vielleicht ist diese Aufführung so etwas wie der Eintritt ins Alterswerk von Schorsch Kamerun. Die melancholische, desillusioniert wirkende Grundnote, die sich durch den Abend zieht, spricht dafür. Sein „Livekonzert als begehbare Rauminstallation“ mit dem Titel „Der entkommene Aufstand“, das er jetzt für das Kölner Schauspiel inszeniert hat, ist ein großer Versuch über das Ende der Utopien.
Die Zuschauer durchwandern eine in verschiedene Raumzonen unterteilte Fabrikhalle. Die Szene stellt eine Art Großraumbüro dar, alles wirkt allerdings ziemlich derangiert. Wütete hier der Mob? Haben die Kreativklassen oder Prekariatsworker ihre Arbeitsplätze aus Protest selber kaputt gehauen? Die hier Verbliebenen scheinen sich gerade wieder zu berappeln. Sie treffen schwer identifizierbare Vorbereitungen. Die einen diskutieren über architektonischen Entwürfen, andere probieren Masken im Occupy-Stil oder drehen Bewerbungsvideos. An einer Wand kleben hunderte von Post-its – auf denen nichts steht.
Das Publikum trägt auf seinen Wandelgängen durchgehend Kopfhörer. Die transportieren den kostbaren Stoff des Abends: Kamerun und seine Musiker spielen ein bewegendes Konzert in einer schalldichten Glasbox. Der Akustiksound ist minimalistisch gehalten, den Grundton markiert der fanalartige Klang einer Röhrenglocke.
Kamerun hat mit 50 Kölner Bürgern Gespräche geführt und daraus die Songs getextet, die formal an Brecht und Tucholsky geschult sind. Die Interviewten sind die tatsächlich durch die Büros wuselnden Figuren. Die Songtexte passen zur Musik genauso wie zur Vereinzelung des Publikums. Denn davon handeln auch sie – von der Zersplitterung der Meinungen, der Flut der Sinnangebote, der Orientierungslosigkeit zwischen demokratischem Aufbruch und den Grenzen des Wachstums. Das singende Ich, aus den vielen Berichten kompiliert, weiß keine Antworten. Der Glaube an Veränderbarkeit ist versiegt: „Neulich zu Haus hab ich dich belauscht / Plötzlich war mir klar, der Mensch kann nicht mehr.“ Kameruns Songs sind informiert und beweisen eine empfindliche Sensorik. Sicher treffen sie einen Nerv Gegenwart. Vielleicht sind sie aber auch überempfindlich. Unter Dreißigjährige waren bei der Premiere kaum zu sehen.
ALEXANDER HAAS