: „Geschenke sind Symbole“
Wer zu viel gibt, übt Macht über den Beschenkten aus. Wer geizig ist, erniedrigt ihn. Gabenforscher Stephan Moebius erklärt die komplizierte Prozedur des Schenkens und die Unfähigkeit zu nehmen
STEPHAN MOEBIUS, 34, Soziologe und Kulturwissenschaftler, ist seit August Juniorprofessor für Soziologie an der Universität Erfurt.
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Herr Moebius, ist das Schenken nicht ein archaischer Ritus, der abgeschafft gehört?
Stephan Moebius: Nein. Ein Geschenk ist ein wichtiges soziales Bindungsmittel. In archaischen Gesellschaften haben Gaben sogar Verträge ersetzt. Insofern hat die Gabe seit jeher eine viel stärkere soziale Bindungskraft als der Tausch. Denn bei Gaben vermischen sich Personen und Sachen: Man gibt nicht nur ein Objekt, sondern auch ein Stück von sich.
Kann man also am Geschenk ablesen, wie viel man dem anderen wert ist?
Das ist sehr modern gedacht. Diese Dinge sind ja auch von der sozialen Situation abhängig. Wichtig ist vor allem der symbolische Gehalt der Gabe. Andererseits kann man eine Beziehung durch zu große Geschenke kaputtmachen. Denn bei der Gabe kommt es auf Erwiderbarkeit an.
Dann ist ein Geschenk eher eine Art Leihgabe?
Ja. Allerdings eine, die nicht unbedingt an den Geber zurückkommen muss. Es gibt eine Art Kreislauf der Gabe. Denken Sie etwa an Eltern, die sich für ihre Kinder verausgaben. All das bekommen sie niemals zurück. Die Gabentheoretiker gehen aber davon aus, dass die Kinder dies an ihre Kinder weitergeben.
Wenn die Kinder keine Kinder haben: Haben sie dann etwas unrechtmäßig behalten?
Nein, es kann ja auch in andere Kanäle fließen, in Ehrenämter zum Beispiel.
Kann ein Geschenk auch ein Druckmittel sein?
Ja. Wir können Beziehungen zerstören, indem wir so übermäßig schenken, dass der andere es nicht erwidern kann. Denken wir zum Beispiel an Armenfürsorge oder sonstige Wohltätigkeit. Die Empfänger haben meist kaum die Chance, das zu erwidern und sind dann immer in der Schuld derer, die gegeben haben.
Und fühlen sich entsprechend unwohl.
Ja, und herabgesetzt. Denn Gabe hat ja immer auch etwas mit einer Art von Hierarchie zu tun. Wenn ich jemandem etwas gebe, fühlt er sich in meiner Schuld. Ich habe also eine gewisse Macht.
Reden wir über konkrete Geschenke: Sind wir schon so hilflos, dass wir – in Form von Werbung – Geschenk-Animateure brauchen?
In der Tat verkommt die Kultur der Gabe. Allerdings eher dadurch, dass sich das Geldgeschenk einbürgert. Da geht etwas verloren, weil der Geist des Gebers nicht mehr in dem Geschenk ist.
Inwiefern?
Weil sich der Schenker keine Gedanken gemacht hat. Das führt dazu, dass der symbolische Gehalt nicht so hoch ist wie bei einem Buch, das zum Beispiel in Muße ausgesucht wurde.
Aber es gibt ja begabte und unbegabte Schenker. Wenn Letzterer um seine Schwäche weiß und Geld schenkt, ist es doch sinnvoll.
Durchaus. Trotzdem fehlt etwas. Dass es unbegabte Schenker gibt, das stimmt natürlich. Begabte Schenker haben ein starkes Gespür für soziale Beziehungen.
Trotzdem kann ein unbegabter Schenker ein guter Freund sein.
Gaben müssen nicht nur Dinge sein. Man kann ja auch Zeit und Freundschaft geben.
Dann gibt es ja noch die Menschen, die nicht nehmen können. Ist es ein modernes Phänomen, dass sich Männer oft nichts schenken lassen?
Das liegt wohl daran, dass der, der etwas annimmt, in ein Schuldverhältnis gerät. Nichts annehmen zu wollen, ist eine moderne Art der Autonomie – ebenso wie das Nicht-Gebenwollen. Denn Geben bedeutet Selbstverlust, also Autonomieverlust. Und die Moderne ist gekennzeichnet durch einen besonderen Drang zur Autonomie. Da ist Selbstverlust eine Schande. In früheren Gesellschaften war es umgekehrt: Da hat man durch Selbstverlust Prestige gewonnen.
Das Gegenstück wäre ja der zwanghafte Schenker. Kann Gebenwollen krankhaft sein?
Es kann krankhaft sein, wenn man den anderen ständig in die Pflicht nehmen will. Übermäßiges Geben macht den anderen abhängig. Andererseits kann man jemanden enorm erniedrigen, indem man ihm zu wenig gibt.