: Das „Made in Taiwan“-Label ist verpönt
TAIPEH Ein hoher Turm, künstlerische Kleinode und Szeneviertel in Taiwans Hauptstadt
■ Dihua Old Street: Die Straße zum Einkaufen liegt im Datong-Bezirk im Westen Taipehs. Ratsam ist ein Chinesisch-Wörterbuch – die Händler verstehen kein Englisch.
■ Umgebung: Interessant zu besichtigen ist das nahe gelegene Ximen-Viertel. Die Modegeschäfte befinden sich in der Kanding Road. Wenige Gehminuten entfernt liegt der Longshan-Tempel.
■ Weitere Informationen: www.taiwantourismus.de
Die Reise unserer Autoren ermöglichte eine Einladung des Taiwan Tourismusbüros.
VON ADRIAN LOBE
Die meisten Leute assoziieren Taiwans Hauptstadt mit dem „101“, dem zweitgrößten Hochhaus der Welt. Mit seinen 508 Metern überragt der Tower die Stadt. Nachts funkelt der Turm, benannt nach der Anzahl seiner Stockwerke, in verschiedenen Farben – er ist über mehrere Kilometer Entfernung zu erkennen. Er beherbergt ein Einkaufszentrum, Büros und eine Besucherplattform, zu der man mit Expressfahrstühlen kommt. Bis zum Juli 2007 war er der höchste Wolkenkratzer der Welt. Dass das höchste Gebäude mittlerweile in Dubai steht, tut seiner Strahlkraft keinen Abbruch. Vierzig Jahre lang hatte die regierende nationalistische Kuomintang (KMT) mit eiserner Hand den Aufstieg Taiwans zum Wirtschaftswunderland Asiens vorangetrieben. Inzwischen nimmt die kleine Insel vor der Küste Chinas mit ihren 23 Millionen Einwohnern als Handelsnation den dreizehnten Platz ein.
Das traditionelle Taipeh findet sich in der Yong Chang Street: In einer Garage hocken zwei Männer auf Kartons und grübeln über einem Brettspiel. Ein Teegeschäft reiht sich an das andere. In der Heilkräuterhandlung riecht es nach Kampferöl und Weihrauch. Das Geschäft ist Apotheke und Teeladen zugleich. Der Besitzer, ein zartgliedriger Mann, zeigt auf eine Teemischung. „Das hier ist gut für den Kreislauf“, sagt er und öffnet eine Schublade des dunklen Holzregals, das hinter der Ladentheke steht. Dann malmt er mit einem Mörtel ein Häufchen getrockneter Blätter und wiegt die Ware mit alten Gewichtsstücken. 500 Gramm Tee kosten einen Euro.
Ximen ist das Szeneviertel der Stadt. Auf Chinesisch heißt Ximen Westportal. Der Bezirk zählt zu den fortschrittlichsten und modernsten Gegenden Taipehs. Frauen in Minirock und mit übergroßen Sonnenbrillen begleiten Mädchen mit japanischer Schuluniform. „Die Mode wird von Korea, Japan und den USA beeinflusst“, sagt Lily Chuang. „Und bisweilen wird sie mit taiwanischem Stil verknüpft. Spezialisierte Schneider nähen koreanische Logos auf amerikanische Jeans, frisieren Cowboystiefel zu asiatischen Ausgehschuhen um und designen T-Shirts, die sich vom verpönten ‚Made in Taiwan‘-Label deutlich abheben.“
In einem Tattoo-Studio liegt ein junger Mann auf einer Pritsche und lässt sich ein japanisches Tribal stechen. Drei mannsgroße Hunde liegen faul daneben. Passanten bleiben stehen und beäugen das skurrile Schauspiel durchs Fenster.
Neben Ausgehbezirk und Shoppingmeile ist Ximen ein ursprünglich erhaltenes chinesischen Gassenviertel. Mittendrin steht der konfuzianische Luangshan-Tempel. Berühmt ist er für seine detaillierten Steinmetzarbeiten und Holzschnitzereien.
„Es gibt einen Gott für die Erde, einen für den Himmel und einen für das Wasser“, erklärt Reiseleiterin Lily Chuang. Wie schon vor 2.000 Jahren beenden die Gläubigen ihre Tempelzeremonie damit, dass sie Räucherstäbchen in einen goldenen Bottich werfen.
Der kleine Lastwagen an der Straßenecke, in dessen Laderaum eine Platte rüttelt, ist ein Erdbebensimulator. Jeder, der möchte, kann hier erfahren, wie sich ein Erdbeben der Richterskala sechs anfühlt.
Man wird kurz durchgeschüttelt, ehe man unter dem Gekicher begeisterter Kinder das Gefährt verlässt. Ein paar Meter weiter führt ein Künstler seine Zaubertricks vor. Er wirft drei Münzen in einen Kochtopf, entzündet ein Feuer, setzt den Deckel drauf – und zieht urplötzlich einen Geldschein heraus. Das Viertel lebt von der Dichte an ausgefallenen Geschäften und spontanen Darbietungen.
Ximen ist die Heimat einer Subkultur. Künstler sprühen auf Garageneinfahrten und Hausmauern Graffiti. Mal sind es einfache Comicfiguren oder Schriftzeichen, mal anspruchsvolle Szenen aus einem Spielfilm. Nicht alles ist rechtmäßig
Neben einer Skaterbahn dürfen die Künstler ihre Gemälde ganz legal anbringen – die Stadtwaltung hat dies offiziell erlaubt. Der Bürgermeister zögerte nicht, selbst den ersten Pinselstrich zu setzen. „Kreativität ist endlos“, hat er auf die Mauer geschrieben. Die Stadt präsentiert sich gerne als liberale Metropole.
Abends lebt die Stadt auf dem Nachtmarkt in Shilin. Aus den Boxen der Kleiderläden wummern dann laute Bässe. Stones, Shakira, Snoop Dog.
Viele Besucher, die sich durch die engen Gassen schlängeln, halten Ausschau nach einem Häppchen oder Schnäppchen. Allerdings: Gefeilscht wird auf dem Markt nicht. Die Taiwaner fürchten nichts mehr als den Gesichtsverlust.