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Archiv-Artikel

Mein Leben zwischen zwei Buchdeckeln

Jeder kann zum Märchenhelden werden im Geschichtenladen von Michael Wäser. Er schreibt auch biografische Storys auf Bestellung. Denn Erzählen funktioniert für den ausgebildeten Schauspieler wie Theater: eine Rolle annehmen

„Story to go“ steht an der Fassade eines Hauses am Kollwitzplatz, in dem seit Anfang November ein Geschichtenladen untergebracht ist. Im Geschäft liegen Kataloge aus: mit Geschichten für Kinder und für Erwachsene. Krimis und Märchen, Piraten- und Abenteuergeschichten, die allesamt zum Verschenken sind. Das Besondere daran: Die Beschenkten tauchen selbst als Helden in der Handlung auf. Das mache den Reiz an den Geschichten aus, erklärt Michael Wäser, Inhaber des Ladens. An der Wand hängen wie in einer Galerie verschiedene Einbände als Muster für die Gestaltung des Buchs. Das Geschäft ist eine Büchermanufaktur.

„Angefangen hat der Geschichtenladen im Internet“, erzählt Michael Wäser. Mit dem Projekt „schreib für mich“ hat der ausgebildete Schauspieler zusammen mit Freunden kurze Erzählungen verfasst, die zum Verschenken waren. Allerdings blieb im Internet der Kontakt zu den Kunden anonym. Aber der Schauspieler sucht die Begegnung. Deshalb nun ein richtiger Laden in Prenzlauer Berg. Damit Sonderwünsche nach einem persönlichen Gespräch besser berücksichtigt werden können. „Einmal wollte eine Frau ihre eigene Liebesgeschichte als Erzählung haben, vom Kennenlernen ihres Mannes bis zur Heirat“, erzählt Michael Wäser. Als Autor wird der 43-Jährige dann zum Ghostwriter. Denn Autobiografien hat er schon häufig verfasst.

Schreiben ist für Michael Wäser eine Auftragsarbeit, für die er in verschiedene Rollen schlüpft. Mal ist er Märchenerzähler, mal Krimiautor. Büchermachen bezeichnet er als Kunsthandwerk. Erzählungen im Geschichtenladen gibt es in zwei Varianten: eine Expressgeschichte zum Mitnehmen. Grimms Märchen „Hans im Glück“ wird personalisiert und heißt dann etwa „Patrick im Glück“. Der Text wird gedruckt und geheftet. Aber es gibt auch künstlerisch gestaltete Bände von einer Buchbinderin. Außerdem bietet Wäser die Variante als Hörbuch an, in einer individualisierten Produktion. Dafür arbeitet er mit einem Hörbuchstudio zusammen. Annähernd dreißig Erzählungen in unterschiedlichen Genres gibt es mittlerweile zur Auswahl, verfasst von einem Team von zehn Autoren. Drehbuchschreiber sind darunter, Lektoren und Werbetexter.

Noch ist der Geschichtenladen, der erst seit wenigen Wochen besteht, ein Experiment. Regelmäßig finden Lesungen statt, im Januar gibt es einen Schreibkurs für Kinder. Auch Literaten sehen beim Geschichtenladen eine Möglichkeit, gelesen zu werden, und senden ihre Manuskripte. „Darunter gibt es immer wieder Erzählungen, die nicht ins eigentliche Konzept passen, weil sie sich nicht personalisieren lassen“, erzählt Wäser. Das seien etwa Ich-Erzählungen oder Großstadtgeschichten aus Berlin. Einige der Texte findet der 43-Jährige dennoch gelungen und möchte sie nicht unberücksichtigt lassen. Dafür hat er die Rubrik „hier und jetzt“ geschaffen. Kurzgeschichten dieser Reihe lösen sich von der Nachahmung fremder Texte und sind eigenständige Literatur, die im Laden verkauft wird. Ohne Verlag und ISBN – wenn es einen Käufer gibt, erfolgt die Herstellung nach individuellen Wünschen.

Ladenbesitzer Wäser sucht derweil nach weiteren Möglichkeiten, die Erzählungen zu vermarkten, und hat eine ungewöhnliche gefunden: Für ein Hotel in Dresden hat er eine Weihnachtsgeschichte geschrieben, die in dem Gasthaus spielt. „Das ist Werbung“, sagt der 43-Jährige. Auch wenn Literaturliebhaber dabei „Bauchschmerzen bekommen“ – Wäser lässt sich von der Kritik nicht ablenken und vergleicht seine Werbegeschichte mit einem „gut gemachten Werbespot im Fernsehen“, die seien auch „geistreich und unterhaltsam“. Als Nächstes will er einen Krimi schreiben, der in einem Hotel spielt. „Das wird kein Groschenroman“, meint Wäser, aber auch kein Band, der im Buchhandel neben den Bücher aus den Verlagen von Rowohlt und Fischer stehe.

So findet Michael Wäser seine Nischen an den Schnittstellen zwischen Kunst und Handwerk. Auch wenn das von der eigentlichen Geschenkidee seines Geschichtenladens wegführt.STEFAN OTTO

Geschichtenladen, Kollwitzstraße 74, Di.–Sa. 11–19 Uhr