: „Du aber nicht, oder?“
KIFFEN Tun, was man will, und nicht drüber reden. Von der Drogenkarriere einer Tochter liberaler Eltern
VON HANNA MAIER
Über das Leben meiner Eltern als Spätjugendliche weiß ich nicht viel. Würden sie mir von ihren Eskapaden erzählen, müssten sie wahrscheinlich enorme Autoritätsverluste befürchten – ich glaube, sie waren Punks. Deshalb war auch ihre Erziehung in Bezug auf Drogen so schlicht wie fundiert. „Kiffen ja, alles andere nein.“ Das bedeutet für Mädchen im lernfähigen Alter so viel wie: „Tu, was du willst, aber lass dich besser nicht erwischen.“ Drogen und Sex standen auf einer Stufe: Ich tat, was ich wollte, und redete nicht viel drüber. So ersparten wir uns gegenseitig die Stellungnahmen.
Meine Drogenkarriere begann mit dem ersten Silvester am Gymnasium. Vier frühreife Mädchen, die durch eine selbstgebaute Bong Gras rauchten und die ganze Nacht kicherten. Obwohl ich so tat, als ob, merkte ich nichts, wahrscheinlich ging es den anderen auch so – wir fanden uns so cool und unsterblich. Wir gehörten zur Schul-AG „gegen rechts“ und machten alles mit. Ich lernte, schnell viel Bier zu trinken und wie man Tüten baut, Bong raucht und dass nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält sich bis heute.
An meinem fünfzehnten Geburtstag lud ich alle potenziellen Partyfreunde zu mir nach Hause ein, meine Eltern stellten die Regeln auf. Jeder Gast durfte zwei Bier kriegen, alles andere sollen sie selbst mitbringen. Und um zwölf sind meine Eltern zum Gratulieren wieder zu Hause. So weit die Abmachung. Gegen acht brachte jemand Engelstrompete zum Rauchen mit. Das war ja keine chemische Droge, sie zu rauchen konnte nur altersgemäß sein. Während ich also besonders cool und lässig rauchte, erzählte mir jemand die Geschichte des Mannes, der eines Nachts das Gleiche tat. Er ging in seinen Schuppen, schmiss die Motorsäge an und hackte sich den Arm ab. Der Abend war gelaufen.
Meine Freunde sangen das Ständchen auf dem Klo, meine Mutter hielt mir die Haare. Die Nacht wurde nie wieder thematisiert. Bis heute denken meine Eltern, ich hätte kalten Glühwein getrunken. Ihnen die Wahrheit zu sagen, hätte weitreichende Konsequenzen haben können. Womöglich hätten sie mich für süchtig gehalten und mich noch mehr kontrollieren wollen.
Lange Zeit dachte ich, dass dieser kindische Quatsch irgendwann automatisch ein Ende hätte. So wie bei meinen Eltern eben. Und deshalb kiffte ich viel und noch mehr, bevor es zu spät sein würde. Ich fand, dass Alkohol und Cannabis im Prinzip eins sind, nur dass das eine ganz und das andere ein bisschen legal ist. Anders als mit meinen Kiffkumpanen habe ich diese Ansicht noch nie mit meinen Eltern diskutiert. Und solange mir nichts passiert, reicht es ihnen auch, bei dramatischen Geschichten aus dem Umfeld Zeigefinger und Augenbrauen zu heben und „Du aber nicht, oder?“ zu fragen. Mir jedenfalls reicht es. Wieder.
Dieses jugendliche stille Genießen hätte ewig so weitergehen können. Ich lernte gute Menschen kennen, führte seichte und tiefe Gespräche, hörte die immergleiche Musik. An den Wochenenden, in stressigen Zeiten, während des Abiturs, in unstressigen Zeiten, wenn ich unendlich verknallt war oder als Zeitvertreib zwischendurch – wenn was da war, rauchte ich es, wenn nicht, dann machte ich mich auf die Suche.
Nach der Schule aus meiner Heimatstadt rauszukommen, entfachte meine postgymnasiale, jugendliche und sommergetränkte Fantasie und ich malte mir ein neues, endlich sorgenfreies Leben mit meinem sorgenvollen Freund in meiner ersten Wohnung aus. Der Typ, der über uns wohnte, hatte drei herausragende Eigenschaften: Er konnte Haare schneiden, besaß einen Hund namens Angel und er war bereit, mich fürs Gassigehen mit Gras zu entlohnen. Ich ließ mir also die Haare immer kürzer schneiden, begann eine Romanze mit dem Hund und hatte immer genug Zeug zu Hause, um in einem sehr einfachen Rhythmus zu leben. Vormittags tat ich, als studierte ich, die Nachmittage verbrachte ich mit Angel, und abends kifften wir uns in den Schlaf. Mama und Papa waren weit weg, die kriegten nicht mit, wenn ich über Wochen völlig breit ins Bett ging. Und ich kriegte nicht mit, wie aus dem schönen Zeitvertreib ein Katalysator für meine ohnehin nicht wenigen Probleme wurde.
Am Ende des ersten Winters in der neuen Stadt war ich fest davon überzeugt, dass mein Leben langweilig und wertlos sei, Angel und ich dringend nach Israel auswandern müssten und dass meine regelmäßigen Panikattacken frühkindlichen Defiziten entspringen.
Meine Eltern kamen als Nothaken nicht infrage, sie hätten mich ja sonst für süchtig gehalten und noch mehr kontrollieren können. Ich fand mich erwachsen genug, auf keinen Fall sollten sie mich in meinem schwächsten Moment für schwach halten. Kiffen wurde zum Zuckerersatz. Es brachte mich auf einen erträglichen Pegel, aber wenn die Wirkung nachließ, hatte ich noch weniger Glückshormone als vorher. Und um die wahren Probleme anzugehen, dafür war ich zu paralysiert.
Der Weg nach draußen dauerte fast ein Jahr und war voller Rückfälle. Ich machte eine Therapie, zerstritt mich bis zum eisigen Schweigen mit meinen Eltern, trennte mich von meinem Freund, versuchte immer wieder mit dem Rauchen aufzuhören, hielt mich mit Süßigkeiten über Wasser und konzentrierte mich, so gut es ging, auf mein Studium. Die Rettung war eine WG. Dort fand ich Freunde, die bereit waren, Abende mit Krisensitzungen zu verbringen und die praktischerweise wegen Asthmas nicht kiffen wollten. Mit ihnen habe ich getanzt. Wir zogen durch die Clubs, und ich eroberte nachts die Schönheit des Lebens zurück. Heute rede ich glücklicherweise wieder mit meinen Eltern. Aber nicht übers Kiffen. Es war damals zwar nicht der Grund für meine Traurigkeit, aber sicher einer der Auslöser. So habe ich es mir zusammengebastelt. Ich befürchte, meine Eltern könnten mir dieses Konstrukt kaputtmachen. Also sage ich nichts. Ich frage sie ja schließlich auch nicht nach ihren Drogenerfahrungen.