Klein–Deutschland in der Provence

■ Im bislang noch vergessenen Verdon–Tal soll eine Art Schwarzwaldklinik entstehen / 2.000 Betten, Golfplatz, und fünf Schwimmbäder geplant / Projekt der deutschen Immobiliengesellschaft und Gemeinde bereits unterzeichnet

Aus dem Verdon Georg Blume

Eine Schwarzwaldklinik in der Provence - nichts geringeres wünscht sich der stellvertretende Bürgermeister von Sainte–Croix– du–Verdon für das zukünftige Wohl seines kleinen südfranzösischen Dorfes. Seit sechs Jahren kämpft Jean Bonelli für dieses Projekt. Heute nun erscheint das Ziel seiner Träume greifbar nah. Vom Rathaus von Sainte–Croix schaut man über den Stausee auf zwei kleine Hügel. Dort soll die Luxusklinik entstehen, frei nach dem Modell des „Schwarzwald Sanatoriums“ in Obertal im Schwarzwald. Kurhotel und Pavillons mit 2.000 Betten, fünf Schwimmbäder, Reitschule und Golfplatz: alles wird da sein. Stolz zeigt der Architekt Gaston Philip seine Pläne. Philip ist vor Ort Vertreter der deutschen Gesellschaft, die die Klinik erbauen will. Das Projekt erregt die ganze Region im Hinterland der Cote dAzur. Die Schluchten des Verdon–Flusses begeistern Kajakfahrer und Felskletterer. Und die Einheimischen sind stolz auf ihr Land. 15 Jahre ist es her, daß der große Tourismus hier in den Sommermonaten Einzug hielt. Damals legten die französischen Elektrizitätswerke (EdF) den großen Stausee am Ausgang der Schluchten an, der heute den ehemals breiten, fruchtbaren Abschnitt des Verdontals bedeckt. Wasser und Sonne zogen die Karlsruher Immobiliengesellschafterin Homuth–Heilmann an, die - schon am Sanatorium in Obertal beteiligt - die Schwarzwaldklinik am Verdon ersann und das nötige Geld, etwa 150 Millionen Mark beschaffte. Die alte Frau in Sainte–Croix, die vom Dorfplatz den See betrachtet, weiß von all den großen Zukunftsplänen nicht viel. Aber sie erzählt, wie sie früher jeden Sommertag ins Tal hinabstieg. Dort wuchs das Heu so gut, daß sie fünf Mal im Jahr mähen mußten. Jetzt erst merke ich, wie langweilig der See ausschaut. Doch für Kurgäste ist der Ausblick hier offenbar ideal. „Den Alten dürfen Sie keine Fragen stellen!“ hatte mich Bürgermeister Bonelli gewarnt. Bonelli war Pariser und ist 1980 zugezogen. Nun hat er sich zum alleinigen Herrscher über das 70–Seelen–Dorf Sainte–Croix aufgeschwungen. Eigentlich waren fast alle gegen das Projekt. Die Bürgermeister, die Gemeinderäte und die kleinen Leute aus dem Verdon. Deshalb scheiterte das Bauvorhaben 1984, als alle Genehmigungen bereits erteilt waren. Umweltschützer aus Marseille organisierten damals den Protest, und eines Tages kamen 4.000 Demonstranten nach Sainte–Croix. Das war zuviel. Die Sozialisten aus Marseille mischten sich ein. Vor zwei Wochen de monstrierte man wieder. 400 Menschen kamen diesmal. Das waren immer noch viele, doch inzwischen haben sich die politischen Verhältnisse in der Region verändert. Seit 1986 regiert die Rechte das regionale Parlament, und zudem kam ein neuer, von der Rechten eingesetzter, Präfekt ins Departement. Von oben bekommt das deutsche Projekt nun Unterstützung. Für Bürgermeister Bonelli reicht das aus, um sich über die Skepsis seiner Umgebung hinwegzusetzen. Denn seit der Dezentralisation ist er es, der nach den behördlichen Genehmigungen allein entscheiden kann, was auf Grund und Boden seiner Gemeinde gebaut wird. „Das ist der perverse Effekt der Dezentralisation,“ schimpft Rene Burle, Bürgermeister der Nachbargemeinde St.Martin de Bromes. Burle ist ein junger, dynamischer Sozialist, den man hier nicht erwartet, denn in den Dörfern des Verdon überleben - außerhalb der großen Ferien - derzeit nur die Alten. Und Burle erklärt: „Seit 20 Jahren hat man im Verdon nicht über eine umfassende Regionalplanung nachgedacht. Die Bürgermeister verwalten dieses Land wie eh und je, hier eine neue Straße, dort ein neuer Parkplatz und überlassen jede Initiative den Leuten, die von außen kommen, ganz gleich, ob aus Deutschland oder Marseille.“ Burle spricht an, was unglaublich erscheint: „Bis heute kennen nur Bonelli und der Architekt Philip den genauen Plan des Projekts.“ Erst in diesem Sommer kamen die Pläne für die Seeklinik wieder auf den Tisch. Doch inzwischen ist der Vertrag zwischen der deutschen Gesellschaft und der Gemeinde Sainte–Croix bereits unterzeichnet. Wenn die Hauptgesellschafterin Homuth–Heilmann wie vorgesehen noch in diesem Herbst ihren Finanzierungsplan vorlegt, steht dem Baubeginn nichts mehr im Wege. Über 2.000 private Kurgäste, zu 60 Prozent Deutsche, wird man dann zu jeder Jahreszeiterwarten. „Das ist nichts für uns. Das ist eine Geschichte für Millionäre“, erregen sich die Boule–Spieler auf dem Marktplatz von St.Martin. „Wir werden nur die Betonmischer und später die Mercedeswagen vorbeifahren sehen.“ Wütend sind vor allem diejenigen, die sich im Verdon für einen anderen Tourismus eingesetzt haben. „Dieses Land braucht keinen Golfplatz und keinen Konsumtourismus,“ meint der Ski– und Wanderführer Jean–Francois Bettus aus der Verdonschlucht. Er hat sich ohne jegliche Unterstützung ein Klientel an Jugend– und Schulgruppen verschafft, mit denen er versucht, „andere Ferien“ zu machen. Auch Rene Burle ist überzeugt, daß ein „sanfter, integrierter Tourismus“ im Verdon möglich ist. Bis es jemals so weit kommen wird, bleibt Zeit genug, die Kurklinik zu bauen. Ein kleines Deutschland in der Provence, sozusagen. Eigentlich gibt es das schon seit tausend Jahren. „Allemagne–en–Provence“ heißt ein kleines Dorf am Rande des Verdontals, dessen Geschichte bis ins 10.Jahrhundert zurückreicht. Doch vielleicht sollte man an eine Fernseh–Ausstrahlung der berühmten „Schwarzwaldklink“ denken, damit man im Verdon versteht, was Deutschland in der Provence heute bedeuten kann.