: Andere Zeiten - andere Zeitungen
■ Eine Dokumentation zum Thema Gegenöffentlichkeit
Das übliche Strickmuster der Legendenbildung zeigt sich auch im Bereich der alternativen Medien. Seit der Frankfurter 'Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten‘, kurz 'ID‘ genannt, vor mehr als sieben Jahren sein unrühmliches Ende fand, wird sein Ruf immer mächtiger. Zu Lebenzeiten als Knast- und Antirepressionsblatt geschmäht, droht er, in einer Zeit, in der allenthalhalben die Krise der Gegenöffentlichkeit bejammert wird, zur Legende zu werden. Mehr noch, seitdem die Nachfahren des 'ID‘ - das 'ID'-Archiv mit der wohl umfangreichsten Sammlung alternativer Zeitungen und Blätter der Bundesrepublik, das sind ungefähr 100.000 Einzelexemplare sowie ein umfangreiches Textarchiv mit Flugblättern, Broschüren usw. aus finanzieller Not gezwungen waren'nach Amsterdam zu gehen, ist aus der Legende ein Mythos geworden.
Das am „Internationalen Institut für Sozialgeschichte“ untergekommene Archiv hat nun eine Dokumentation vorgelegt, die dieser Legenden- und Mythenbildung entgegenwirken soll. Die im Faksimile abgedruckten Texte belegen nämlich, daß der 'ID‘ das ideale Medium seiner Zeit war. Da der 'ID‘ eine Nachrichtenagentur sein wollte, wurden alle eingehenden Informationen und Nachrichten ohne große redaktionelle Bearbeitung abgedruckt und dokumentiert. Damit aber wurde er zum überregionalen Mitteilungsblatt der verstreuten Projekte und alternativen Gruppen. Er war Bestandteil und Multiplikator der sich entfaltenden Gegenöffentlichkeit, er berichtete über „Entstehung, Treffen und Schließung von Alternativzeitungen, Buchläden-, Verlagsgründungen und -pleiten, er veröffentlichte brancheninterne Auseinandersetzungen und dokumentierte ausführlich die staatlichen Zensur- und Repressionsmaßnahmen“. Der 'ID‘ hat damit die heterogenen Bestandteile der Bewegungen in den siebziger Jahren kommunikativ verknüpft.
Da ein vollständiger Reprint des 'ID‘ mit seinen 371 Ausgaben nicht möglich war, werden jetzt Texte zum Thema Gegenöffentlichkeit vorgelegt, die thematisch gegliedert wurden: So finden sich Texte zum linken Verlagswesen, ebenso wie solche, die die Diskussion um die Entstehung der taz dokumentieren. Die 120 Seiten starke Dokumentation, die gegen den Gedächtnis- und Geschichtsverlust der Linken gerichtet ist, zeigt aber auch, mit welcher Verve in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die politische Debatte geführt wurde. Beim Wiederlesen der teils zehn bis 15 Jahre alten Artikel wird noch einmal die Faszination dieser Zeit vergegenwärtigt, die Authentizität der Ereignisse spürbar, die uns gefangen hielt. Das hängt auch damit zusammen, daß der 'ID‘, die „Protomutter“ der Alternativpresse, wie das Dany Cohn-Bendit einmal formuliert hat, wie keine andere Zeitung dieser Zeit, den Selbstverständigungsprozeß der Alternativen widergespiegelt hat. Allerdings haben die Herausgeber dieser Dokumentation die anfänglich unrühmliche Rolle des 'ID‘ im Deutschen Herbst unterschlagen. In der Rubrik „Nachrufe auf Buback und Schleyer“ wird zwar auf den öffentlichen Meinungsdruck hingewiesen, auf die Agonie, in der die bundesrepublikanische Linke sich nach der Schleyer -Entführung befand, die zunächst klägliche Rolle des 'ID‘ wird ausgespart. Hatte der 'ID‘ gegenüber der Erwartung seiner Leser, „jetzt mal loszulegen“, doch geschrieben: „Unsere Arbeitsfähigkeit steht und fällt mit dem Zustand einer breiten linken Bewegung. Diese befindet sich aber augenblicklich in einer ihrer schwersten Krisen. In einer solchen Situation können wir nicht glänzen“ ('ID‘ 196, 1977). Zwar hat der 'ID‘ in den darauffolgenden Wochen mit umfangreichen Recherchen den Versuch unternommen, die Auswirkungen der „Nachrichtensperre“ zu unterlaufen, gleichwohl sind hier die Grenzen der Basis- und Betroffenenberichterstattung bewußt geworden.
Klar ist, daß die plakativen Forderungen des 'ID‘ der ersten Stunde, wonach die Nachrichten vom Volke kommen sollten („Von der Basis, für die Basis“, war die Parole) stets hohler Anspruch geblieben sind, doch gegenüber einer postmodernen Standpunktslosigkeit, die in den alternativen Stadtzeitungen oft zum Ausdruck kommt, haben diese Texte auch wegen ihrer demonstrativen Gesinnung einen eigentümlichen Reiz.
ks
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