: Das klingt nach Zentralkomitee
■ Interview mit der oft als faschistoid beschimpften jugoslawischen Rockgruppe Laibach anläßlich ihrer Tournee durch die Bundesrepublik
Thomas Böhm und Markus Pachowiak
Ihre Fanfaren blasen zum Marsch, mit Pauken und Trompeten, übrigens zwei traditionellen slowenischen Instrumenten, treiben sie ihr Publikum in ein totalitäres Konzerterlebnis. Der Zuschauer wird Opfer ihres Diktats. Ihre Symbolik und ihr Outfit, Hirschgeweihe, schwarze Kreuze, Macho-Gestik und Trachtenlook, verleiten zu Assoziationen, da wird ihnen faschistisches Gedankengut in die Jägerröcke geschoben. Mit akribischer Zerstörungswut malträtieren sie die Errungenschaften westlicher Pop-Geschichte. Queens „One Vision“ und Opus „Live Is Live“ verformten sich unter Laibachs Aufsicht in kaltschwarze Metallsplitter. Nun haben sie sich auch noch die Rolling Stones und die Beatles vorgenommen. „Sympathy For The Devil“, gleich in sechsfacher Maxi-Ausfertigung, und das Lennon/McCartney-Finish „Let It Be“ erhielten eine computergesteuerte Radikalkur. Das Interview fand auf Sloweniens höchstem Berg statt. Das Echo schallte bis hinunter nach Trbovlje, einem Industriestädtchen, wo Zementwerke die Umgebung verschandeln, wo einst die jugoslawische Arbeiterbewegung ihre ersten Lieder sang und wo auch die Idee von Laibach entstand.
Thomas Böhm: Für das westliche Publikum ist es einigermaßen überraschend, daß ausgerechnet aus Jugoslawien, einem Land, dem immer noch gern folkloristische Provinzialität unterstellt wird, neue Projekte gewachsen sind, die allgemein Verwirrung stiften.
Laibach: Gut so. Die alten Zentren sind ja wohl kaum mehr dazu in der Lage. Ljubljana ist eines der innovativen Zentren der Welt.
Zentren sind gewöhnlich auch Machtzentren. Das trifft für Slowenien im weitesten Sinne nicht zu.
Wir leisten uns keine Medieninflation, glänzen auch nicht durch omnipotente Wirtschaftskolosse. Wir besitzen natürlich nicht die äquivalenten technischen Möglichkeiten wie in London oder New York. Wir haben andere Energien. Ljubljana liegt im Herzen der alten Welt. Bekanntlich sind Herzen pulsierende Organe. So verhält es sich auch hier.
Das Herz der Gruppe „Laibach“ ist die umstrittene Organsisation NSK, „Neue Slowenische Kunst“. Wie kann ein jugoslawisches Unternehmen einen deutschen Namen tragen?
Weil wir möglicherweise die besseren Deutschen sind. Slowenien hat unter anderem eine 2000 Jahre alte deutsche Geschichte. Jeder von uns steht in der Tradition deutsch -lateinischer Kolonialpolitik, Kolonialreligion. Damit zu operieren heißt auch, euch und der deutschen Sprache wieder Würde zu geben. Wir leisten das, was ihr nicht könnt: Deutschland vor anglo-amerikanischen Einflüssen zu verteidigen. Die NSK fungiert hier als Katalysator...
...eines Exorzismus?
Exakt. Die NSK ist eine politisch-kulturelle Schule und Basis-Bewegung, die 1984 gegründet wurde, als es zur Vereinigung der drei Gruppen, „Laibach“ (Musik), „Irwin“ (Malerei) und „Scipion Nasica“ (Theater) kam. NSK bewegt sich innerhalb des Feldes Ideologie und Kunst. In den folgenden Jahren schlossen sich neue Sektoren an. „NK Studio“, „Builders“, „Red Pilot“, „Retrovision“, „Sektor für praktische Philosophie und Theologie“. NSK vereinigt alle bis dato existierenden Erfahrungen slowenischer Kunst und Politik. Grund unserer Experimente ist die slowenische Nation und ihre Geschichte - beheimatet an einem geographischen Brennpunkt zwischen westlich-europäischen und östlich-europäischen Zivilisationen. Jede Gruppe besitzt außerdem eine eigene Programmatik, basierend auf den Prinzipien des Laibach-Kunst-Programms und unserer zentralen Methode, dem Retrogardismus.
Das klingt nach einem totalitären System. Fehlt nur noch das Zentralkomitee.
Nein. Der „Ideologische Rat“. Er ist das Exekutivkomitee. Die Vereinigung der verschiedenen Kräfte entspringt dennoch der Methode: dem retrogardistischen Prinzip.
Ein postmodernes Synonym für Avantgarde?
„Avantgarde“ ist ebenso wie die Begrifflichkeiten der sogenannten „Postmoderne“ ein anachronistischer Terminus. „Avantgarde“ bezeichnete einst die Spitze einer fortschrittlichen Bewegung, heute bildet sie nur noch die Fassade bourgeoiser Kulturinteressen. Ein phraseologisches PR-Unternehmen. „Retrogarde“ bezeichnet das erste Stadium der Statik. Retrogarde ist aus Evolution, Revolution und Avantgarde hervorgegangen. Als statisches Endprodukt kompromittiert sie die anderen. Ziel und Sinn ist es, die Vergangenheit zu verstehen, zu korrigieren und interpretieren. „Back to the Future“.
Was heißt das für die konkrete Arbeit?
Laibach macht Musik mit Schauspielern, in den Bildern unserer Maler ist dann wiederum Laibach zu erkennen. Die Kunst transformiert innerhalb der verschiedenen Medien. Alle Systeme werden durch die unabhängigen Gruppen repräsentiert, das gilt auch für die Sektionen praktische Philosophie, Ökonomie und Theologie. Es ist eine durchaus bekannte Konstruktion, wenn Ideologie und Politik eine bestimmte Idee vertreten, mit der sich die Kunst auseinandersetzt und wiederum das Theater Stellung bezieht.
Was dabei herauskommt, sind die „letzten Dinge“. Unfehlbare Wahrheiten innerhalb der höchsten Ideologie.
Wir denken nicht in derartigen Kategorien. Die Frage ist nicht, wer ist der Beste, sondern, für welche Synthese entscheiden wir uns. Es geht um die Synthese aller Geschichte und aller Werte. Wir sind im Begriff, das universelle System herauszufinden, welches selbst wiederum das Verständnis aller Systeme einschließt, um das dann etwa in Kunst oder Musik auszudrücken.
Ihr macht es euren Rezipienten nicht leicht, zwischen Ironie und Ernst, Glaube und Spiele, Wahrheit und Methode zu unterscheiden.
Wir sind selber angetreten, interpretiert zu werden.
Wie kommt es, daß ihr ständig mißverstanden werdet?
Wer sagt, wir müßten notwendigerweise verstanden werden? Das ist doch wie mit guten Gemälden. Sie überlassen der Fantasie des Betrachters die Interpretation.
Hat Laibach keinerlei klare Aussagen - keinerlei Manifeste?
Selbstverständlich. Beispielsweise unsere 1982 veröffentlichten Konventionsartikel. Da heißt es unter Paragraph I und II: „Kunst und Totalitarismus schließen sich nicht aus. Totalitäre Regime heben die Illusion der revolutionären individuellen Freiheit der Kunst auf. Laibach -Kunst ist das „Prinzip der bewußten Entsagung des persönlichen Geschmacks, des Urteils, der Überzeugung. Es akzeptiert freiwillig die Entpersönlichung und die Rolle der Ideologie. Laibach hat sich nach dem totalitären Muster industrieller Produktion (kollektives Denken, Identifikation mit der Ideologie) ein organisatorisches Arbeitsprinzip angeeignet; dies bedeutet: nicht das Individuum, sondern die Organisation spricht. Unsere Arbeit ist industriell, unsere Sprache politisch.“
Manche wollen darin die Reinkarnation krypto-faschistischen Gedankenguts erkannt haben.
Das ist ein Teil unseres Verwirrspiels. Wir instrumentalisieren weder faschistische Ästhetik gegen den Westen - wie uns unterstellt wurde - noch die sozialistische gegen den Osten. Wir sind auch zu Konstruktivisten, Leninisten und Futuristen gemacht worden.
In euren Songs bedient ihr euch, getreu der retrogardistischen Methode, alten Materials. Warum habt ihr euch gerade entschlossen, „Let it be“ und „Sympathy for the Devil“ zu covern?
Die Ur-Versionen sind viel zu seicht und positiv geworden. Sie haben ihre Substanz - nicht nur die provokante - mit der Zeit verloren. Wir korrigieren nicht die Texte, deren Relevanz heute selbstverständlich auch eine ganz andere ist. Wichtig ist, wer die Texte singt, wie interpretiert wird und wie das Arrangement dazu aussieht. „Let it be“ ist ja auch im Original in drei Versionen produziert worden. Wir recherchieren exakt, in welchem Kontext die Stücke entstanden sind. „Let it be“: Das Ende der großen Beatles -Paranoia. Und „Sympathy“: Der Zusammenbruch des Traums „Rock'n'-Roll-Revolution“.
Versucht ihr die alten Träume wieder lebendig zu machen?
Es ist, als ob man den Film zurückdreht, um bestimmte Momente präziser erkennen zu können. Dadurch wird folgerichtig auch die Zukunft klarer. Sozialisiert im Osten haben wir einen unbefangeneren Bezug zu solch genuin westlichen Produkten.
Ihr präsentiert euch auf der Bühne als heldenhafte, junge Jäger, dekoriert mit Hirschgeweihen und mit schwarzen Kreuzen. Was hat das zu bedeuten?
Der Hirsch ist das Symbol der Freiheit, Liebe und Kraft. Ein Zeichen für Befreiung, lange bevor es Revolutionen gab. Das ursprüngliche, universelle Zeichen des Hirsches war in allen archaischen Plätzen bekannt und in Europa genauso verbreitet wie auf dem amerikanischen Kontinent. Unsere Geweihe vergegenständlichen die sexuelle Kraft. Die Stones liefen mit Plastikschwänzen rum - das war damals. Geweihe entstehen biologisch im Zusammenhang mit der Ausschüttung der Sexualhormone. Der Hirsch braucht neue Hörner für die Brunftzeit. Wir brauchen sie für die Show. Das Kreuz symbolisiert hier einen imaginären, perfekten Staat des Geistes. Ursprünglich ein Zeichen für Liebe und Frieden, wurde es in Slowenien das Symbol der sozialistischen Industrialisierung. Dazu wurde es allerdings weiß gestrichen. Bei uns ist es wieder schwarz, denn wir betrachten es als etwas Ewiges.
Tourneedaten:
17.12. Dortmund
Live Station
18.12. Bielefeld
PC 69
19.12. Berlin
Quartier Latin
20.12. Hamburg
Markthalle
21.12. Aachen
Übach-Palenberg
Rockfabrik
22.12. München
Theaterfabrik
Aktuelle LP:
„Let It Be“
INT 146.845
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