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Hoffähige Tonvisionen

■ Maestro Robert M. Smith und seine Gruppe „The Cure“ in der Stadthalle: Der Zug des Quintetts fährt auf gemäßigteren Gleisen: Doch die Fans lagen ihnen zu Füßen

Ganz sicher: Auf der Eintrittskarte stand 20 Uhr. Daß Shellyann Orphan schon eine halbe Stunde vor diesem Zeitpunkt auftreten würde, konnte nun wirklich niemand wissen. Viele Befragte hatten von der Vorgruppe nicht einen Ton gehört, doch das war halb so schlimm. Mr. Robert M. Smith mit seinen Mannen von The Cure bediente das recht junge Publikum nach Leibeskräften, ziemlich genau drei Stunden.

Als die Tausende dieses positive Preis-Leistungsverhältnis noch nicht einmal erahnen konnten, boten sie ihrem bleichen und fülligen Liebling schon gastliche Wärme. Frenetischer Jubel empfing den Maestro im wallenden Gewand und verfehlte seine Wirkung nicht. Er sei schon in Bremen gewesen, bemerkte er, doch an diesem Abend sei alles etwas anders. Ohne Frage, schließlich hatte der Brite beim letzten Mal noch eine wesentlich rockigere Musik im Gepäck.

Hoffähig sind The Cure also ge

worden, auch wenn ihre letzte LP etwas irreführend „Disintegration“ heißt. Doch seit sie ankündigten, öffentlich keine Araber mehr auf der Bühne zu exekutieren („Killing an Arab“), fährt der Zug des Quintetts auf gemäßigteren Gleisen, also besser in das Musikgeschäft integriert als je zuvor. Zu Beginn ihres Bremer Auftritts wirkten sie geradezu orchestral und getragen. Lange Gitarrenpassagen erinnerten deutlich an die sattsam bekannte Schublade des düsteren Gitarrenpop, ohne allerdings den typischen Sound der Gruppe einzubüßen. Das lag natürlich an niemandem sonst als dem Frontmann Smith. Seine weinerliche Stimme bestimmt nach wie vor die sehnsüchtige Ausstrahlung, die dem Publikum so wohlig unter die Haut geht. Die Band lebt und fällt mit dem Charisma ihres 30jährigen Sängers, ohne ihn bliebe von der Gruppe nicht mehr übrig als ein ausgelutschter Fruchtbonbon.

Solistisch bieten die Mitspieler

grundsolides Handwerk, wohleingeübt, mehr nicht. Doch der dunkle Robert braucht nur alles Unangenehme dieser Welt in die Menge hinunterzuschluchzen, und schon liegen ihm die Fans zu Füßen. Dies allerdings im sprichwörtlichen Sinne, da einige kreischende Minderjährige nicht immer Frau ihrer Sinne blieben und entrückt dem Saalboden entgegenglitten.

Von dort unten in sichere Räumlichkeiten gebracht, entging den derart Überwältigten visuell eine Menge. Die aufwendige elektronische Lichtanlage war mehr als nur einen Blick wert. Ständig changierend, aber nie in Bereiche der Beliebigkeit abgleitend, fügten sich grüne Blitzlichtgewitter zu Smiths manchmal abgehackten Gitarrenklängen nahtlos an gelb-blaue Strahlenfluten, die in elegischen Sequenzen wahre Tonvisionen im Kopf bescherten. Die ZuschauerInnen nahmen es dankbar an, schunkelnde Körper, „Conny“

und nochwer, die ein Transparent in die Höhe hielten, und das übrige Meer der Köpfe ließen sich von Lichtkaskaden und Laserensembles umspielen.

Einige völlig desorietierte BesucherInnen versuchten es gar mit vorsichtigem Pogo im weiten Rund der Halle, doch das geht mit Robert '89 nicht mehr zusammen. Er hat die ruppigen Attitüden weitgehend abgelegt, langgezogene Soli des Engländers und disziplinierte Baß-und Keyboardfiguren sorgten für zufriedene Ohren und verklärte Gesichter. Als nach der ersten Zugabe ein immer noch sanges-und spielbereiter Robert M. ankündigte, die Wünsche der jubelnden Menge würden „in one song's time“ befriedigt, waren es hinterher drei Stücke, Boys don't cry eingeschlossen. Sogar ein viertes Mal ließ er sich auf das Lichterpodium bitten, diesmal gab er zu erkennen, ganz neues Material vorzustellen. Ruhige, langsame Balladen bildeten den Abschluß eines Marathonkonzertes mit Tiefenwirkung. Die Masse Mensch trottete entspannt auf die Bürgerweide, geordnet, friedlich und mit solidarischem Gespür für die Parkplatzprobleme der NachbarIn. Mensch, Robby, wie hast Du sie verändert. Lobsang Samte

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