Kollegentreue und Gerichtstradition

■ Zum Urteil im Prozeß gegen den Hamburger Orthopäden Bernbeck

Die eigentliche Sensation im Hamburger Kunstfehlerprozeß ist nicht die lächerlich geringe Geldstrafe für den prominenten Arzt. Die eigentliche Sensation ist die Tatsache, daß die Richter sich trotz des massiven öffentlichen Drucks zu einem so niedrigen Strafmaß für den vom Ehrendoktor zum Skandalprofessor gesunkenen Bernbeck entschlossen haben. Natürlich sprechen die paar Tausender, die der nicht eben mittellose Ex-Chefarzt zu zahlen hat, dem leidvollen Schicksal jener vielen Patienten Hohn, die durch seine Operationswut zu Krüppeln wurden. Doch schärfere Strafen haben Ärzte, die gepfuscht haben, hierzulande vor Strafgerichten nicht zu befürchten.

Das Bernbeck-Urteil beweist aber auch, daß mutige Gutachter in ärztlichen Kunstfehlerprozessen noch immer eine Seltenheit sind. Wer in Hamburg miterlebte, wie sich der erste Sachverständige zum bedingungslosen Bernbeck -Verteidiger aufschwang, wie der zweite Gutachter bei seiner mündlichen Vernehmung umkippte und der dritte, der gegen Bernbeck auszusagen wagte, von Verteidigern und Kollegen in den Dreck gezogen wurde, der weiß, daß die Krähen noch keine vom Aussterben bedrohte Art sind.

Und weil die Richter sich überkorrekt an das Urteil der Gutachter hielten, was ihnen das Gesetz nicht zwingend vorschreibt, und weil in der Strafprozeßordnung nun einmal der Grundsatz „Im Zwiefel für den Angeklagten“ gilt (ein Grundsatz der hier natürlich auch für Ärzte nicht angezweifelt werden soll), haben die Richter für den Skandalorthopäden eine Milde walten lassen, die man sich gegenüber manchem kleinen Ladendieb wünschen möchte.

Gabi Haas