: Wahlkampfnotizen aus der Provinz
■ Alfred Dregger in Freiberg / CDU-Fraktionschef wie aus einer alten Wochenschau
Naßkalt stürmisches Wetter, kaum Menschen auf der Straße eigentlich ein ganz normaler kleinstädtischer Abend. Auch die kleinsächsische Bergstadt Freiberg ist vom Wahlkampf nicht verschont geblieben. Auf dem historischen Obermarkt plärrt aus zwei provisorisch aufgestellten Boxen Schnulze auf Schnulze und auf einem von blinkender Rummelplatzbeleuchtung illuminierten Plakat strahlt der Star des heutigen Spektakels.
Doch vorerst herrscht noch ziemliche Leere auf dem Platz, nur an den Ständen, an denen die Freiberger CDU sächsische Bockwurst und Stuttgarter Bier feilbietet, herrscht Gedränge. Auch die von einem anscheinend privaten Gewerbetreibenden angebotenen Fahnen in den hiesigen Nationalfarben weiß und grün finden reißenden Absatz.
Doch langsam füllt sich das Areal und eine Blaskapelle beginnt der Tonkonserve Konkurrenz zu machen. Kurz vor Sieben ertönt der Marsch „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben„; „Deutschland, Deutschland„-Rufe ertönen und immer wieder wird der Vorname desjenigen skandiert, wegen dem sie ihre Fernsehsessel verlassen haben. ER kommt nun zu ihnen; original, live und extra nur für sie.
ER läßt sie auch nicht übermäßig lange warten in dem elenden Sauwetter da draußen. Schon fünf Minuten nach dem offiziell angekündigten Veranstaltungsbeginn erscheint ER, umgeben von örtlichen Parteigrößen, auf der provisorisch zusammengezimmerten Rednertribüne. Der Jubel schwillt an und er zeigt - die Arme zum „Ich liebe euch alle“ weit ausgebreitet - sein strahlendes Gebiß. Doch zuerst Protokoll ist Protokoll - eröffnet der örtliche CDU-Chef Wilcek die Kundgebung. Mit einer schneidigen, eher an einen langgedienten preußischen Feldwebel denn einen sächsischen Parteibeamten erinnernden Stimme brüllt er ins Mikrofon: „Meine lieben Freunde! Wer an diesem Tag, in dieser Jahreszeit, bei der Kälte hier auf dem Marktplatz nach Freiberg kommt, um mit uns den Höhepunkt unserer Wahlveranstaltungen zu begehen, der ist ein echter deutscher Patriot!“
Dann erteilt er dem örtlichen CDU-Volkskammerkandidaten Doktor Heinrich Douffet das Wort. Der arme Heinrich! Hat er doch mit seinen schätzungsweise 60 Jahren wahrscheinlich noch nie vor mehr als einer Handvoll Menschen sprechen müssen - und nun hier, auf dem mit knapp 2 000 Leuten halbgefüllten Platz pfeift ihm der Wind durchs Manuskript. Er kommt ins Stottern und verliert den Faden. Da zeigt es sich wieder einmal: Das öffentliche Nichtssagen ist eine hohe Kunst.
Dann ist wieder der Maitre de plaisir an der Reihe, läßt es sich nicht nehmen, IHN anzukündigen. Seine Stimme überschlägt sich, wenn er von „Deutschland“ schreit, vom „deutschen Vaterland“, von den mutigen Fahrern des Kraftverkehrs, die „bei Androhung von Gewalt und Sabotage mutig die Plakate der Allianz für Deutschland in ihren Fahrzeugen durch die Stadt und das Land gefahren haben!“ Derweil johlt die Menge „Deutschland, Deutschland“, „Rote raus“.Noch immer, so Wilcek dann, gebe es Leute, die die Arbeit seiner Partei behinderten. „Aber jetzt haben wir die Möglichkeit, gegen solche Verhältnisse anzugehen! Wenn sie am 18. März der Allianz für Deutschland ihre Stimme geben, dann machen wir Schluß mit diesem Spuk!“ Freiberg sei eine Bastion der Freiheit geworden. Unwillkürlich beschleicht den unbefangenen Zuschauer ein Gedanke. Die sich überschlagende Stimme, das kreischende Stackato, die johlende Menge - hatte er das alles nicht schon einmal in ein paar alten Wochenschauen gesehen?
Doch dann kommt endlich ER zu Wort. ER, auf den sie hier wohl alle am sehnlichsten gewartet haben. Da war es auch nicht so wichtig, daß er eigentlich gar nichts Konkretes zu sagen hatte. Etliche Worthülsen genügten da völlig. Von einer Welle der Sympathie war dann da auch die Rede, die zwischen ihm und den Zuschauern hin und her woge, daß er stolz auf „die Revolution seiner ostdeutschen Landsleute “ sei, daß er mit seinen politischen Freunden in der Allianz übereinstimme, daß die Personen, die diese Parteien repräsentieren, ganz integre Leute seien (Herrn Schnur nannte er aber nicht beim Namen). Überhaupt rühre jegliches Übel von den „Genossen-Parteien“ her. „Erst hatten wir braune Genossen, dann hatten wir tiefrote Genossen, jetzt brauchen wir keine rosaroten Genossen“. Schließlich habe auch die SPD-Ost keine saubere Vergangenheit. Danach rief er die „Deutschen aller Stämme“ dazu auf, sich zu vereinigen was hingegen den Umtauschkurs der Sparkonten bei einer kommenden Währungsunion angeht, da machte er vorsichtigerweise keine eindeutigen Aussagen. Doch die Bundesrepublik sei stark genug, um in kürzester Zeit das Gebiet der DDR zum wirtschaftlichen Aufschwung zu führen, und auch die Härten einer kommenden Marktwirtschaft problemlos abzufedern - es werden Milch und Honig fließen. Und ganz genau das war es, was die gebeutelten Sachsen von ihm hören wollten. Das war Balsam in ihren Ohren, da spielte das Wie überhaupt keine Rolle mehr. Und, so Dregger weiter, wichtiger als alle ökonomischen Berechnungen oder materiellen Güter, sei doch letztendlich „das Andere“. „Ich meine, das was uns bewegen muß, ist doch die Liebe zu Deutschland und zum deutschen Volk“! Ach ja.
Und bevor Uns Alfred das Bad in der Menge nehmen und Autogramme verteilen durfte, kam noch einmal Wilcek zu Wort. „Nun singen wir gemeinsam das Lied der Deutschen, auf das wir vierzig Jahre lang warten mußten! Nehmen sie ihre Mützen ab und verhalten sie sich so, wie man sich bei diesem Lied verhält!“
Freiberg, mir graut vor Dir.
Olaf Kampmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen