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Conny-Demo in Göttinger Polizeifestung

Anläßlich der Demonstration zum Todestag von Conny Wessmann erlebte die Universitätsstadt ihren bisher größten Polizeieinsatz/ Trotz Provokationen ging es absolut friedlich zu/ Innenminister hatte vor „3.000 Gewalttätern“ gewarnt  ■ Aus Göttingen Jürgen Voges

Alle Straßen zur Göttinger Innenstadt sind für den Verkehr gesperrt. „Als Journalist können Sie da hineinfahren, aber nur auf eigenes Risiko“, gibt der Polizeiposten den Weg frei. Genau vor einem Jahr, am Abend des 17. November 1989, hatten Beamte eines zivilen Streifenkommandos nach einer Demonstration die Studentin Cornelia Wessmann auf eine der Einfallstraßen getrieben. Die junge Frau lief in Panik vor ein Auto, starb sofort nach dem Zusammenprall, wurde zum Opfer des brutalen Polizeieinsatzes.

Heute, am Jahrestag ihres Todes, sind nicht nur die Geschäfte in der Innenstadt geschlossen, auch in vielen Schulen fällt an diesem Samstagmorgen der Unterricht aus. Für MitarbeiterInnen der Unikliniken ist Rufbereitschaft angeordnet. Die Polizei rechnet mit Verletzten.

Der Göttinger Einzelhandelsverband hat seit Tagen über die Geschäftsschließung debattiert: Vor viele Schaufenster in der Fußgängerzone sind Holzplatten montiert. Vor gewalttätigen Auseinandersetzungen bei der Demonstration anläßlich des Todestages von Conny Wessmann hatte zunächst der Chef der Göttinger Schutzpolizei, Lothar Will, gewarnt. Schließlich wollte auch der rot-grüne Polizeiminister Gerhard Glogowski nicht zurückstehen: Vor „bis zu 3.000 gewaltbereiten Demonstranten“ meinte Glogowski warnen zu müssen. „Die dahin kommen, brauchen keinen Anlaß mehr für Gewalt, weil sie gegen unsere Gesellschaft sind“, wußte der Innenminister, fügte hinzu: „Ich habe keinerlei Feindbild“ und schickte dann 3.000 Bereitschaftspolizisten und BGS-Beamte zum bisher größten Polizeieinsatz in die Universitätsstadt.

Um halb zwölf auf dem Göttinger Marktplatz formieren sich 6.000 junge DemonstrantInnen, die Hälfte von ihnen schwarz gekleidet und mit Tüchern oder Skimützen verhüllt. Doch aus der „Vermummung“ lugen fast durchweg die Augen von gerade Zwanzigjährigen hervor. Der Lautsprecherwagen ruft dazu auf, dem Bürgerkriegsszenario der Polizei mit „besonnenem und mutigem Protest“ zu begegnen, mahnen an das Alkoholverbot im Demonstrationszug. „Conny und Günther, es war Mord — Kampf dem Faschismus an jedem Ort“, mit ihren Parolen erinnern die Jugendlichen auch an den in Frankfurt von einem Wasserwerfer überfahrenen Günther Sare und daran, daß Conny Wessmann einer Gruppe angehörte, die sich zur Wehr setzte gegen Überfälle rechtsradikaler Skinheads. Mit dem Block der Frauen und Lesben an der Spitze und so besonnen wie angekündigt zieht die Trauerdemonstration zur Weender Landstraße, dem Ort, an dem Conny Wessman ums Leben kam. Später geht es im Bogen zurück zum Göttinger Jugendzentrum in der Innenstadt. Wo das zivile Einsatzkommando Conny Wessmann auf die Straße getrieben hat, war zuvor ein Mahnmal errichtet worden: drei aus Metallteilen zusammengeschweißte Figuren, deren Körperhaltung Bestürzung und Trauer ausdrücken. Das 60köpfige zivile Einsatzkommando, das seit Jahren die linke Göttinger Szene observiert und schikaniert, soll endlich aufgelöst werden, fordert die Rednerin auf der Kundgebung am Mahnmal. Das von der Göttinger Staatsanwaltschaft eingestellte Strafverfahren gegen die am Einsatz gegen Conny Wessmann beteiligten Polizisten soll wieder aufgenommen, die Umstände ihres Todes sollen endlich aufgeklärt werden, heißt es weiter.

Nur kurz während des dreistündigen Demonstrationszuges hat es unruhige, gereizte Situationen gegeben: In gar zu engen Gassen drängten die Schutzpolizisten, die die Demo im Stadtkern im Spalier begleiteten, regelrecht in den Zug hinein. Doch auch dort, wo einzelne Beamte plötzlich mitten im „schwarzen Block“ standen, wurde in Ruhe gelassen. Zum Erstaunen der Göttinger Polizei: „Wir hatten keinen Knüppeleinsatz, keine Festnahmen, keine beschlagnahmten Gegenstände, keine Verletzten, keine Sachbeschädigung — nicht einmal einen Farbstrich an einem Gebäude“, faßt Polizeidirektor Eberhard Grote am Abend das Geschehen zusammen. „Dabei waren wir vor der Demo überzeugt, daß die Autonomen als Rache für Conny sogar einen Polizisten totschlagen wollten“, sagt er. Aber vielleicht sei da doch nur ein Thekengespräch zugetragen worden. Daß unter den Vermummten so viele gewesen seien, die die Auseinandersetzung nicht suchten, müsse jetzt „analysiert“ werden . Die Panik der Polizei vor dieser Demo, läßt sich wohl nur mit dem Anlaß erklären. Es wirkt geradezu peinlich, wie Polizeisprecher Grote in der Rolle des ertappten Sünders noch immer die Verantwortung der Polizei für den Tod von Conny Wessmann leugnet: Nach der Aufforderung im Polizeifunk, Conny Wessmann und die sie begleitenden Personen „plattzumachen“, seien bis zum Unfall noch 29 Sekunden vergangen. Außerdem stehe „Plattmachen“ im Polizeijargon nur für die Feststellung der Personalien, rechtfertigt er den damaligen brutalen Einsatz.

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