: Gähnenlangweilige Demokraten
■ betr.: taz-Debatte: Ende des Antifaschismus, vom 13.6.1992
Ganz im Gegensatz zu Kuhn und Hofschen,die glauben, uns in der taz einen Streit um die Theorie und Politik des Antifaschismus zu servieren, erkenne ich vor allem ihre Gemeinsamkeit als altgewordene Seelenverkäufer der entsinnlichten Demokratie. Denn mehr als diese zunehmend aller sinnlichen Inhalte verlustig gehende Denkfigur haben beide nichts anzubieten. Mit einem Unterschied: Kuhn sieht diese Demokratie durch den marxistisch-leninistisch inspirierten Antifaschismus gefährdet, während Hofschen dieselbe Demokratie mit einem sozialreformerisch-humanistisch angereicherten Antifaschismus retten möchte. Wenn mensch bedenkt, daß beide im Recht sind, lassen sich die Zutaten von Kuhn und Hofschen im mathematischen Verfahren kürzen und übrig bleiben ein sozialdemokratischer und ein grüner Demokrat.
Unbeantwortet bleibt die Frage, was mit dieser Demokratie eigentlich noch gewonnen werden kann, nachdem ihr eigentlicher Inhalt, die Ausdehnung der abstrakten Arbeit und ihre Vergegenständlichung, dem Geld, erdumspannend gelungen ist. Unter dem Konsens von Freiheit, Gleichheit und Demokratie produzieren die Menschen des Nordens unter Verwendung der Ressourcen der ganzen Erde (Tausch-) Wertgegestände, die allein der Vermehrung des schon angehäuften Geldes dient. Und diese demokratisch legitimiert Produktionsweise entfaltet zugleich in exponetialem Anstieg ihre krebskrankmachenden, hungerstötenden, regenwaldzerstörenden Kräfte, denen Einhalt zu gebieten der Fetisch der Geldvermehrung verbietet, Aber dieses Wachstum des abstrakten und entsinnlichten Reichtums macht immer weniger Menschen satt.
So unsympathisch mir der Rassismus der Reps und der DVU ist, so verständlich ist er mir als Wutgeheul aus der politisch-psychologischen Einöde abstrakter Reichtumsproduktion. Die rassistische Antwort ist unappetitlicher als das demokratische Gehabe, aber für die handfesten Probleme der Menschen bieten weder ausländeranzündende Militante noch Bremens Selbständigkeit hochhaltende Lokalpatrioten noch asylgesetzverschärfende Demokraten eine Lösung. Wertproduktion und Demokratie fressen sich selbst: Wo selbst die FAZ den Rio-Gipfel zum Anlaß nimmt, die von der warenproduzierenden Gesellschaftsform losgetretenen Zerstörungskräfte zu beklagen, wo die Fähigkeit, den Riß zwischen Ost- und Westdeutschen zu kitten, am Geld zerschellt, muß der Appell an die anti-antifaschistische und die antifaschistische Errettungsbewegung eben dieser Demokratie verhallen. Reps und DVU sind die Zuspitzung der demokratischen Werte Konkurrenz. Privateigentum, Nation, Reps und DVU wollen offen entfalten, was Hofschen und Kuhn auch nicht abschaffen wollen.
Historisch notwendig ist eine Bewegung, die sich den Abstraktionen der Demokratie und der Geldwirtschaft nicht mehr unterordnet und zum sinnlichen Menschen und seinen Erfahrungen zurückkehrt. Nicht die körperlose Prophetie des demokratischen und abstrakt-wirtschaftlichen Fortschritts ist gefragt, sondern konkrete Antworten auf Wohnungsnot, Wasseraubbau und Welthunger sind gefordert. Wer den Geldschein und das gegeneinandergerichtete Geldmachen als lezten Sinn propagiert und so das lebendige Menschsein verhöhnt, sollte sich nicht wundern, wenn er von der getretenen Kreatur selbst als gesichtloser Konkurrent empfunden und beseitigt wird. Kuhn und Hofschen finden ihre Vollendung im vereinzelten und unabhängigen Demokraten, während die Lebensfragen der Menschen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und Vernetzung begründet sind. Es ist die Aufhebung der privaten und konkurrierenden Reichtumsproduktion und die bewußte weltweite Vergesellschaftung, die den einzigen Ausweg aus der demokratischen Katastrophe samt ihren faschistischen Abkömmlingen weisen kann. Otto Pirschel, Politikwissenschaftler Uni Bremen
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