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REISERESSORT: SPECIAL INTEREST

■ "Urlaub machen kann jeder - darüber schreiben auch." Ein Ratgeber für Reisejournalisten

„Urlaub machen kann jeder —

darüber schreiben auch.“

Ein Ratgeber für Reisejournalisten.

VONGÜNTERERMLICH

„Allerhand Orientreisende“ und „Petrarca, der erste Alpentourist“ hießen die beiden Aufmacher, als die erste Reisebeilage einer Tageszeitung, „Für Reisen und Wandern“ der Vossischen Zeitung, am 15. März 1904 erschien. Aber erst gut 50 Jahre später, als das große Pauschalreisefieber sich in großen Zügen Bahn brach, schlug die Geburtsstunde des modernen Reisejournalismus. Nicht mehr die lebendige Reisebeschreibung à la Herodot, der literarische Reisebericht von Laurence Sterne oder die zupackende Reisereportage in der Tradition Egon Erwin Kischs war gefragt. Die ungetrübte Maxime hieß: „Urlaub machen kann jeder — darüber schreiben auch.“ Diese „Erkenntnis“ ist auch heute, knapp 40 Jahre später, noch immer nicht aus allen Köpfen entwichen.

Gottfried Aigner, selbständiger Reisejournalist und Reisebuchautor, entsorgt dieses Hirngespinst in seinem Ratgeber „Ressort: Reise“. Eine erste Bestandsaufnahme zu diesem unterbelichteten journalistischen Zweig.

Heute ist der Tourismus die größte Wachstumsbranche der Welt. Allein die Deutschen geben jährlich 50 Milliarden Mark in fremden Urlaubslanden aus. Der Wichtigkeit des Wirtschaftszweigs angemessen, fordert Aigner, endlich aufzuhören, das Reiseressort als „Abschiebebahnhof“ und „Nebenbei-Bereich“ redaktionsintern zu mißhandeln, „damit das Ressort spätestens im Jahr 2000 den Platz in der Redaktionshierarchie besetzt, den es im Interesse des Lesers — schon jetzt! — einnehmen müßte“.

Aigner begreift das Reisen zwar als ein gesellschaftspolitisches Phänomen, aber trotzdem fällt auch er der im Reisejournalismus üblichen verkürzten Sichtweise anheim. Der Mitinitiator der „Blauen Europa- Flagge, eines Umweltschutz-Siegels für rundum saubere Euro-Strände, beschränkt sich in seiner Kritik am Tourismus fast ausschließlich auf das Problemfeld Umwelt. Folglich begreift er allein die Umweltprobleme als „die neue Bewährung im Reisejournalismus“, derer sich die kritischen Urlaubsbeschreiber anzunehmen hätten. Deshalb porträtiert er einige Initiativen gegen Umweltbelastungen durch wachsenden Tourismus. Kulturelle und soziale Aspekte des Reisens dagegen stehen hintenan.

Unkommentiert druckt der Autor einige positive Beispiele für ordentlich recherchierte, engagierte und informative Reiseberichte ab (aus FAZ, Frankfurter Rundschau, Rheinischer Merkur). Dagegen fehlen Negativbeispiele aus der Yellow Press oder „Special Interest“-Magazinen, an denen sich die Malaise, die engstirnige Ausrichtung aufs touristische Produkt und auf das touristische Zielgebiet, des Reisejournalismus ablesen ließe.

Völlig überflüssig und ungewollt witzig ist Kapitel 2 des Buchs: der journalistische Eignungstest „Haben Sie das Zeug zum kritischen Reisejournalisten?“. In Anlehnung an die banalen Psychotests der Illustrierten von Stern bis Brigitte soll der Leser- Journalist hier die Nagelprobe seiner Kritikfähigkeit abgeben: „Sind Sie auch der Meinung, daß Reisen bildet? oder „Wer fotografiert, sieht mehr. Stimmt das?“

Aigner konzentriert sich in seinem Ratgeber für die journalistische Praxis exklusiv auf den Reise-/Touristikteil der Printmedien. Unbehandelt bleibt die stiefmütterliche und vielfach grausame Behandlung von Reisethemen/Touristikthemen (Freizeit, Reise, Motor-Mix) in Rundfunk und Fernsehen.

Stark ist der viel herumgekommene Münchner Freelancer überall dort, wo er aus Alltagsniederungen der Reisejournalisten, dieser „Pendler zwischen Betreuung und Bestechung“ (manager-magazin) berichtet: das Tauschgeschäft nach dem Motto „Schreibt du mir einen wohlwollenden Bericht, bekommst du den Anzeigen-Auftrag“, die Einladungen von Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsämtern zu Pressereisen, die kleinen Gastgeschenke, die die Freundschaft erhalten.

Aigner fordert, mit Blick auf die wachsende ökonomische Bedeutung des Tourismus mit seinen Ausstrahlungen auf Bildung und Kultur, Gesundheit, Umwelt und Soziales, ein neues Berufsbild für Reisejournalisten. Sein Fazit steht im Vorwort: Das Reiseressort müsse endlich ernst genommen werden: „Nicht mehr Liebkind der Verleger und Chefredakteure, weil das Umfeld so anzeigenträchtig ist — zu viele Fehlgeburten! Vielmehr: ein Ressort, das Verantwortung trägt für Ökologie und soziale Ethik, das abwägt zwischen Vergnügungsrausch und Kulturverbrauch.“

Gottfried Aigner: Ressort: Reise. Neue Verantwortung im Reisejournalismus. Reihe Praktischer Journalismus Band 17. Verlag Ölschläger, München 1992.

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