: Nur kurze Atempause für Tories
■ Unterhaus-Abstimmung über die Minen-Stillegungen
London (taz) – Mit der Entscheidung, die Stillegung von 21 Kohlebergwerken rückgängig zu machen, hat sich die britische Regierung etwas Zeit erkauft. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Industrieminister Michael Heseltine machte am Montag vor dem Unterhaus deutlich, daß von einem Umdenken in der Energiepolitik keine Rede sein kann. Zunächst werden zehn Bergwerke geschlossen – nach der gesetzlich vorgeschriebenen Schamfrist von 90 Tagen, in der die Gewerkschaften pro forma konsultiert werden müssen. Die übrigen 21 Bergwerke, die jetzt aufgrund des Drucks der Torie-Hinterbänkler von den Schließungen ausgenommen wurden, erhalten lediglich eine Atempause bis Januar.
Um den politischen Schaden zu begrenzen, kündigte Heseltine ein Hilfspaket für die betroffenen Kohlereviere in Höhe von 165 Millionen Pfund (ca. 400 Millionen Mark) an. Darüber hinaus wird ein Sonderfonds für die Kumpel eingerichtet, in den das Umweltministerium jeweils fünf Millionen Pfund in diesem und im nächsten Jahr einzahlt. Ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Rebellion der Torie-Hinterbänkler heute abend zu verhindern, ist keineswegs sicher. Das Unterhaus stimmt heute über den Antrag der Labour Party ab, die Entscheidung über sämtliche Stillegungen aufzuheben und einen unabhängigen Ausschuß einzusetzen, der die gesamte Energiepolitik untersuchen soll. Mehrere konservative Abgeordnete deuteten an, daß sie den Labour-Antrag unterstützen werden, da sie Heseltines Moratorium für eine kosmetische Übung halten.
Eine unabhängige Untersuchung hat Heseltine jedoch ausgeschlossen. Die würde nämlich unweigerlich zu dem Ergebnis kommen, daß die hektische Privatisierungspolitik der Tories die Wurzel des Dilemmas ist, in dem sich die Kohleindustrie heute befindet. Die Stromerzeugung liegt nach der Privatisierung in der Hand von zwei Unternehmen, die sich gegenseitig jedoch keine Konkurrenz machen. Um diesem Duopol nicht ausgeliefert zu sein, investierten die zwölf privaten regionalen Stromanbieter in Gaskraftwerke. Darüber hinaus war die Regierung gezwungen, die Atomindustrie von der Privatisierung auszunehmen, wollte sie nicht auf dem ganzen Paket sitzenbleiben. Der Atomstrom wird heute in Milliardenhöhe subventioniert. Die Kohleindustrie wurde zwischen Gas und Atom aufgerieben, obwohl sie billigeren Strom als ihre beiden Konkurrenten produzieren kann. Allerdings spielten auch Umweltfragen beim Untergang der Kohle eine Rolle: Großbritannien muß aufgrund einer EG-Direktive den Schwefeldioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2003 um 60 Prozent verringern.
Die Labour Party warf der britischen Regierung gestern vor, daß es ihr nicht um die Arbeitsplätze der Bergarbeiter gehe, sondern um ihre eigenen Jobs. Robin Cook, Industrieminister im Labour-Schattenkabinett, fragte Major am Montag im Parlament: „Haben Sie noch nicht gemerkt, daß sich die massiven Proteste der Bevölkerung gegen die Stillegungen richten, und nicht gegen den Zeitplan?“ Gestern erklärten sich auch die sechs Gewerkschaften in der Atomindustrie mit den Bergarbeitern solidarisch. Für heute und für Samstag sind Massendemonstrationen in London angesetzt. Sollten die Tories die Unterhaus-Abstimmung heute abend verlieren, sind Heseltines Tage gezählt. Dann beginnt auch für den angeschlagenen Premierminister Major der politische Überlebenskampf. Seine einzige Hoffnung: Die Tories haben keine Alternative. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen