: Sommertheater am falschen Objekt
Eine fatale Grabesruhe zum Thema Aids liegt über dem deutschsprachigen Theater. Auch die Off-Inszenierung „Crusaders“ vom Theater „Stükke“ weist keinen Ausweg aus der Sprachlosigkeit ■ Von Gerd Hartmann
Einen „todsicheren Renner“ glaubte der Müchner Theaterverlag Kurt Desch eingekauft zu haben. Doch der vermeintliche Hit erblickte in den fünf Jahren, seitdem er auf deutsch verlegt ist, gerade zweimal Inszenierungen in Mainz und Berlin. Dabei ist der – inzwischen verstorbene – Argentinier Copi ein allseits anerkannter Autor, und seine schrille Totenbett-Farce quillt über vor bitterschwarzem Humor. Leider handelt sie von Aids. Darüber darf man im problembewußten Deutschland anscheinend nicht lachen.
Aber auch im Bereich einer ernsteren Auseinandersetzung mit der Krankheit herrscht Grabesruhe auf den heimischen Brettern. Ein einziges Mal wagten sich die aktualitätsscheuen Hochkulturtempel bisher an das brisante Thema. 1985/86 war das, als der Medienrummel sogar in den Dramaturgenstuben vernommen wurde. William Hoffmans publikumsfreundlicher Tränendrüsendrücker „Wie du“ schwappte vom Broadway nach Stuttgart und auf manche andere Bühne. Auch Larry Kramers wesentlich politischer argumentierendes „The normal heart“ schaffte den Sprung in größere Staatstheater.
Schluß des ersten Aktes. Der zweite wird geschlagene acht Jahre später eingeläutet, in diesem Herbst. „A Gay Fantasia on national themes“ lautet der Untertitel zu Tony Kushners „Angel in America“. Aids ist nur ein Strang in diesem weitgespannten Fragenkatalog zur gesellschaftlichen Situation in den USA. In Deutschland wird Werner Schroeter die Uraufführung in Hamburg besorgen, sechs weitere Städte spielen das Stück in dieser Saison nach. Sogar Berlin, wo sich bisher noch kein einziges großes Theater an Aids versuchte, steht im Bereich der Möglichkeiten. Die Volksbühne hat Interesse an der Übernahme der Hamburger Inszenierung angemeldet.
Am grundsätzlichen Dilemma ändert diese plötzliche Entdeckungseuphorie nichts. Aids findet an deutschen Bühnen so gut wie nicht statt. Mit Mangel an Stücken ist das nicht zu erklären. In den USA geht die theatralische Auseinandersetzung mittlerweile schon in die dritte thematische Runde. Nach einer ersten, sehr betroffenen Begegnung bis Mitte der Achtziger und anschließender starker Betonung der politischen Dimension der Krankheit, hat Aids inzwischen sämtliche Genres erobert. Vom Musical bis zur Performance reicht das Spektrum. Die teilweise durchaus nach Europa übertragbaren Stücke wurden in Deutschland in den letzten Jahren fast gänzlich ignoriert. Auf Einheimisches schauen die großen Bühnen ebensowenig. Walter Vogts redlich-untheatralische Monologsammlung „Die Betroffenen“ (Theater am Neumarkt/Zürich) steht da allein auf weiter Flur.
Die Off-Szene, von der gleichen Ewigkeitssucht befallen wie die großen moralischen Anstalten, setzen wenig entgegen. Eine Handvoll Jugendaufklärung und das Nachspielen amerikanischer Uraltkamellen, denen die Wissenschaft längst den Garaus gemacht hat, sind eine magere Ausbeute. Auch die (wenigen) schwulen Theatergruppen steuerten bisher eher gutgemeinte Versuche als ästhetisch überzeugende Lösungen bei. Eine rühmliche Ausnahme ist hierbei die Bremer Gruppe „Lubricat“, die mit „Red, blue and yellow“ (derzeit an der Volksbühne) einen harten und sehr persönlichen Versuch wagte, Trauer in eine strenge Ästhetik zu gießen, jenseits jeder Tränenseligkeit.
Als erstes Theater aus dem oberen Dutzend der Berliner Off- Szene hat sich jetzt „Stükke“ dem Thema angenommen. Jeff Hagedorns „Crusaders“ hat allerdings keinerlei Anspruch, Aids in seiner Gesamtheit zu beleuchten. Es ist ein kleines Stückchen Gebrauchstheater, das sich einen Aspekt herausgreift. Zusammengezurrt wird das Paket einschließlich Botschaft mittels einer schnellen Farce.
Der Plot dreht sich um experimentelle Aids-Medikamente. In den USA ist der Kampf um die schnelle Zulassung neuer Arzneien spektakulärer Alltag. Durch das Nachmixen noch unerprobter Medikamente in illegalen Labors und einem offensiven Umgang mit dem riesigen Medizin-Schwarzmarkt zwangen die Selbsthilfegruppen in den letzten Jahren die Regierung, ihre schleppende Zulassungspraxis zu ändern.
In Europa ist solches bisher kaum relevant. Dies wohl wissend, läßt Stükke-Hausregisseur Donald Berkenhoff das Anliegen seiner Vorlage fast völlig außen vor und konzentriert sich auf deren Comedy-Elemente. Davon hat die wüste Geschichte mehr als genug. Randy (David Wilms) ist ein moderner Durchschnittshomo: Attraktiv, mäßig politisch, kleinen Abenteuern nie abgeneigt und ein bißchen tapsig. Im Bus wird er von einem religiösen Aids-Eiferer verfolgt (Ades Zabel, der auch sämtliche anderen Rollen spielt), anschließend im Büro schickt die zickige Sekretärin den völlig aufgelösten Chef kurzerhand in Urlaub. Mysteriöses passiert dann im Reisebüro. Nebst einem Ticket nach Acapulco gibt ihm die tuttelige Reisebürotunte eine grüne Rose mit. Natürlich wissen fortan alle weiteren Protagonisten, was dieses Geschenk bedeutet, nur der Träger nicht. Einem Medikamenten- Schmugglerring dient die Blüte als Erkennungszeichen.
Damit sind denn auch sämtliche Troublefährten gelegt. Und weil trottelige Helden kraft ihrer Unschuld immer von den besten Schutzengeln geleitet werden, übersteht auch dieser sämtliche mexikanische Unbill. Einen knackigen Chicano als Liebhaber sowie die in Stofftiere verpackte Medizin gibt's noch als Dreingabe. Ohne den politischen Aufhänger bleibt da nur eine nach allen Regeln amerikanischer Comedy-Tradition gut durchkonstruierte Harmlosigkeit.
Die Schauspieler hecheln dem High-Speed-Plot etwas atemlos hinterher. David Wilms stolpert allzu angespannt von einem Slapstick in den nächsten. Die Ruhe des reinen Toren fehlt ihm gänzlich. Verwandlungskünstler Zabel hat es einfacher. Seine acht Figuren bieten genügend Material für Tuntentrallala der feineren Sorte. Allerdings gehen auch ihm bisweilen die gestalterischen Varianten aus.
„Crusaders“ ist leidlich kurzweiliges Entertainment zum folgenlosen Ablachen – Sommertheater am falschen Objekt. Auf etwas Relevanteres zum Thema Aids muß Berlin weiterhin warten. Das ist aber weder dem Autor, noch den „Stükken“ vorzuwerfen, die sich konsequent wie kaum eine andere Gruppe um das zeitgenössische Drama kümmern.
Jeff Hagedorn: „Crusaders“. Regie: Donald Berkenhoff; mit David Wilms und Ades Zabel. Weitere Vorstellungen: 19./20.6.; 23.-27.6.
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