: Kein Verrat am Theater
■ Uraufführung von George Taboris „Requiem für einen Spion“ in Wien
Für George Tabori sind die Proben Weg und Ziel. Den Aufführungen käme da bloß der Status eines work in progress zu, wäre da nicht der Staatstheaterbetrieb, der fertige Produkte verlangt. Tabori weiß, was er dem Betrieb schuldig ist – aber er begleicht die Schulden zu dem von ihm festgelegten Wechselkurs.
So erweist sich auch sein neuestes Stück „Requiem für einen Spion“ mehr als eine Versuchsanordnung denn als ein festgeschriebenes Ganzes. Eine Versuchsanordnung, die den Schauspielern Raum zur Improvisation und zum Ausspielen oder Verkürzen einer Szene gibt. Wenn gleich zu Beginn des ersten, „PSST-PSST“ betitelten Aktes Gert Voss als Agent Heinrich Zucker auf der Suche nach seinem ehemaligen Ausbildner Brian Murdoch durch eine Tiefgarage stolpert, wird keine Stoppuhr darüber wachen, wie lange diese Szene jeweils dauern wird. Und so kann gerade bei Tabori Text und Aufführung nicht auseinanderdividiert oder gar gegeneinander ausgespielt werden – wie dies in Wien die Kritik teilweise versuchte –, als gäbe es ein echtes Spiel im falschen Text.
Was im Leben die Ungewißheit – Wahrheit oder Lüge, Treue oder Verrat, echt oder falsch –, ist auf Taboris Theater das Spiel und das Spiel mit dem Spiel. Das Leitmotiv dieses „Requiems“ ist der Verrat – der jedoch nicht ordentlich abgehandelt und dann zu einem moralisch einwandfreien Urteil zusammengefaßt wird. Murdoch: „Nennen Sie mich einen Lügner?“ – Zucker: „Eine Berufskrankheit.“
Taboris Dramaturgie funktioniert nicht wie ein Lügendetektor, der vorgibt, unbestechlich zu sein, sondern wie ein Seismograph, der von den Gefühlsschwankungen, die er aufzeichnet, gewissermaßen selbst hin- und hergerissen wird. Und so bleibt auch Maggies Frage, warum Zucker sie während des Krieges an die Nazis verraten hat, letztendlich unbeantwortet. Denn wenn auch die Geschichte des Spions einleuchtend klingt und an das Mitgefühl der Zuhörer appelliert, wurde sie doch durch Murdochs irritierende Aufforderung eingeleitet: „Na, lüg uns was Schönes vor!“
Tabori weiß, daß die Bühne nicht das Forum ist, um die Frage nach der Wahrheit zu beantworten. Wahrhaftigkeit der Schauspieler ist schon das Äußerste, was hier geleistet werden kann. Und selbst dies wird durch die Schauspielführung dieses alten Fallenstellers einer extremen Belastungsprobe unterzogen. Was Gert Voss nämlich in der Rolle des Spions Zucker bietet, ist einerseits große Schauspielkunst, andererseits aber eine enervierende Selbstparodie, die – angesichts der Tatsache, daß dies vorerst Voss' letzte Rolle in Wien sein wird – einen ganz anderen Gedanken nahelegt: Requiem für einen Schauspieler?
Tabori ist aber nicht nur Fallensteller, sondern auch ein schlauer Fuchs, der den üblichen Fallen aus dem Weg zu gehen versteht. Sein Glaube an das Theater als perfekte Illusionsmaschine hält sich bei all seiner Theaterbesessenheit in Grenzen. Voss spielt im zweiten Akt mit Branko Samarovski eine köstliche Therapieklamotte – Theater als Therapie, Therapie als Theater. In diesem Zusammenhang zieht er auch Frauenkleider an, um die Radikalfeministin Maggie für sich einzunehmen. Der Regisseur verwehrt Voss aber das Verschwinden des Mannes in der Hülle der Frau. Auf so genial schlampige und so ohne Hoffnung auf Täuschung gespielte Art blieb wohl selten eine Verwandlungschance ungenutzt. Und an anderer Stelle, wenn Samarovski den Alkoholiker mimt und Zucker entdeckt, daß Murdochs Flasche Tee und keinen Scotch enthält, wird dem Theater gegeben, was des Theaters ist: Auf der Bühne wird immer Wein gepredigt und Wasser getrunken. Ganz zu schweigen vom Benzin, das Samarovski in einem Anfall von Verzweiflung über sich und Karl-Ernst Herrmanns schwarze Bühnengarage schüttet. Der Feuerlöscher an der Wand mag funktionieren, doch kein Wasser fängt Feuer. Welches Theater könnte es sich schon leisten, Herrmanns Räume in Flammen aufgehen zu lassen?
Taboris Spiel mit dem Feuer wird nur in einem Punkt prekär, an dem er sich immer wieder gern die Finger verbrennt. Ursula Höpfner als Maggie fällt die undankbare Aufgabe zu, etwas zu verkörpern, demgegenüber Tabori offensichtlich keine liebevolle Distanz aufbringen kann, dem seine ganze uneingeschränkte Zuneigung gehört: Die Frauen sind bei Tabori immer nur Männerkopfgeburten, die nicht phantasievoller werden, weil sie von einem lüsternen Greis herbeigeträumt werden. Dieter Bandhauer
George Tabori: „Requiem für einen Spion“. Mit: Ursula Höpfner, Branko Samarovski, Gert Voss u.a.; Inszenierung: George Tabori; Bühne: Karl-Ernst Herrmann; Kostüme: Heidi Melinc
Weitere Vorstellungen: 22., 23. und 28. bis 30. Juni, Akademietheater Wien
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