: Das kostbare Kleinod
Vor zwanzig Jahren fand in Düsseldorf das Spiel aller Spiele des deutschen Fußballs statt: das Pokalfinale 1. FC Köln – Borussia Mönchengladbach ■ Von Holger Jenrich
Berlin (taz) – Ernst Huberty, der alte Spesenritter, suchte während der Fernseh-Übertragung fieberhaft nach passenden Vokabeln der Begeisterung und fand im Phrasen-Fundus nichts Enthusiastischeres als „Schöner geht's gar nicht.“ Seine kommentierenden Kollegen waren da dank des zeitlichen Abstands wortgewaltiger. „Eines der schönsten und dramatischsten Spiele in der Geschichte des deutschen Fußballsports“, tönte der Sport-Informations- Dienst mit Inbrunst. Dettmar Cramer höhnte in Richtung Britannien: „Für uns war das englische Cup-Finale immer das große Vorbild. Aber dieses Endspiel war besser als das beste Cup-Finale, das ich erlebt habe.“ Und Bundesaußenminister Walter Scheel klönte auf vertraut-volkstümelnde Art Freudetrunkenes in die Journalisten-Blocks: „Da lacht einem ja das Herz.“
Wenn man genau hinhört, kichert's noch heute, genau 20 Jahre nach jenem denkwürdigen 23. Juni 1973, vollmundig aus mancher Kicker- und Sofasportlerbrust. Die Euphorie über und die Erinnerung an das 30. DFB-Pokalendspiel zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach trägt der Fanatiker mit sich herum wie Verliebte das Konterfei der Angebeteten im Portemonnaie. Nicht das legendäre 3:2 der Fritz-Walter- Deutschen 1954 gegen Ungarn, nicht das unglückliche 3:4 der Schön-Elf 1970 gegen Italien, erst recht nicht das magere 1:0 der Beckenbauer-Bubis im 1990er-WM- Finale gegen Argentinien – das 2:1 der Gladbacher ist und bleibt das kostbarste Kleinod von Fußball- Statistikern, Fußball-Schwärmern, Fußball-Verrückten.
Und von Fußball-Journalisten. Die Kölnische Rundschau faselte vom „Traumfinale“, die Westdeutsche Zeitung nicht weniger sprachlos von einer „Sternstunde“. Einen „Rausch von Laufen, Schießen, Dribbeln, Hechten, Springen“ hieß Hans Günter Martin von der Rheinischen Post das Aufeinandertreffen der rheinischen Rivalen. Die Stuttgarter Zeitung fühlte sich gar an einen „Thriller“ erinnert, „wie ihn selbst die blühende Phantasie des alten Hitchcock nicht auszumalen vermocht hätte“. Und immer wieder dieselben leuchtenden Augen, dieselben klopfenden Herzen, dieselben klangvollen Namen beim Gedanken an das Duell von Düsseldorf: Gerhard Welz und Wolfgang Kleff, Herbert Neumann und Dietmar Danner, Heinz Simmet und Herbert Wimmer.
Und Günter Netzer, immer wieder Günter Netzer. Das letzte Spiel des nach Madrid wechselnden Ball-Genies im Trikot der Borussia dauerte die 30 Minuten der Verlängerung und ist seither Legende. Trauer über den Tod der Mutter, Ärger mit Trainer Weisweiler, etliche Kilo zuviel auf den Rippen: Der Triumphator vom Niederrhein fand sich zum Abschied auf der Bank statt auf dem Platz wieder. Erst Christian Kuliks körperliches K.o. nach 90 Minuten erlaubte dann den Akt kollektiver Glückseligkeit. Der balltretende Rebell streifte das Leibchen mit der „12“ über, wechselte sich ohne Rücksprache mit Weisweiler selbst ein – und schoß nach drei Minuten das Siegtor: Die fulminant getretene, indes falsch getroffene Schweinsblase zischte auf wundersamer Flugbahn in den oberen rechten Winkel des FC-Tores. Die FAZ bestaunte den Netzer-Treffer ehrfürchtig als „Naturereignis“, Gladbacher Chronisten gaben ihrer Hochachtung mit der Formulierung Ausdruck, Netzer habe das Stadion wie „ein Bonaparte des Fußballs“ verlassen.
Per Video kehrt Napoleon Netzer noch heute zu manchem Fußball-Liebhaber zurück – auf vielfachen Wunsch hat der WDR in seinem dritten Fernsehprogramm das vermeintlich beste Fußballspiel aller Zeiten seither mehrfach wiederholt. Und damit auch jenen TV- Unglücksraben Gelegenheit gegeben, der „Interessengemeinschaft 23. Juni 1973 e.V“ beizutreten, die sich seinerzeit statt für Netzers ARD-Geschoß für das ZDF-Gepruste des indischen Elefanten Modoc und für „Daktari“ entschieden.
Borussia Mönchengladbach: Kleff - Bonhof, Vogts, Sieloff, Michallik - Wimmer, Kulik (91. Netzer), Danner, Jensen - Rupp (117. Stielike), Heynckes
1. FC Köln: Welz - Kapellmann, Weber, Cullmann, Hein - Overath (71. Konopka), H. Neumann, Simmet, Flohe - Glowacz (71. Gebauer), Löhr
Zuschauer: 69.600; Tore: 1:0 Wimmer (23.), 1:1 Neumann (41.), 2:1 Netzer (93.)
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